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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
Autoren: Dieter Moor
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Uhr, und es ist schon weit |42| nach Mitternacht   … Übermorgen muss ich wieder fahren, T V-Termine , und der Hof in der Schweiz muss auch geräumt werden. Das wird noch lustig   … Es bleiben uns 30   Stunden, dann muss das hier menschenwürdig funktionieren   … Sonjas Mutter kommt, ihr zur Seite zu stehen, die muss ja auch irgendwie hier leben können ohne Kulturschock   … Ich erschieße morgen die Milhoffs, dann kann Sonja endlich einziehen   … Und ich geh ins Gefängnis, das Tor zum Gefängnishof ist zusammengeschweißt aus schwarzen Vierkanteisen, die Zellen haben
     Blumenmustertapeten, und alle Insassen tragen nasse Klamotten   … Wenn die Wärter «Gang äntli hei, Äntli!» rufen, muss man in die Zelle, die dann von außen zugenagelt wird   … Die Aufseher scheinen ein Fest zu feiern. Lautes Gebrüll bricht sich an den Blumenmustertapeten und dringt in den Farben
     Orange, Blau und Grün wie eine rostige Säge in mein Trommelfell. Die Stimmen der Männer vermischen sich mit dem Gekläffe ihrer
     eselgroßen Polizeihunde, ein Höllenlärm. Ich wache auf.
    Die Stimmen sind real, das Hundegebell auch: Die Sennerinnen laufen aufgeregt zwischen unseren Betten und der Haustür hin
     und her, ich schrecke von der geriatrischen Matratze hoch, stehe senkrecht im Bett. Vom Fenster aus sehe ich, dass sich vor
     dem Häuschen schräg gegenüber wild gestikulierende Männer versammelt haben. Nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, Bierflaschen
     in den Händen. Es ist nicht auszumachen, ob sie streiten oder sich nur laut unterhalten. Einer fängt an zu grölen:
    «Scho ein Daaaaag, scho wunnaschöööön wie eudeeeeee, scho ein Daaag, der dürfe nie va’eeeen.»
    Sofort fällt die ganze Gruppe begeistert mit ein.
    «Scho ein Daaaaag, auf den man schiiiiischo feuiiiiiite, und wäh waaaaaaisch, wann wiiiiiunsch wiiiidascheeeeeeeen.»
    Hurragebrüll aus rauen Kehlen, Hände klatschen sich selbst |43| Applaus. Flaschen klirren prostend aneinander. Eindeutig kein Streit, da wird gefeiert!
    Ich beruhige die Hunde, tapse zum Bett. Sonja ist auch wach.
    «Das kann doch wohl nicht wahr sein. Mannomann, ich muss raus morgen, das geht gar nicht. Ich will Ruhe!», rede ich auf sie
     ein. Was sich zu so nachtschlafener Zeit halt jede Ehefrau wahnsinnig gerne anhört, weil es ja so unglaublich zur Verbesserung
     der Situation beiträgt   …
    «Das ist das Gemeindehaus», kommt es mit dünner Stimme von ihr. «Heute war irgendein wichtiges Fußballspiel.»
    «Was hat das mit dem Gemeindehaus zu tun?»
    «Das kann man mieten, um zu feiern, und der Fußballclub ist da auch drin.»
    Na sauber. Wir wohnen vis-à-vis vom Fußballclub, der zugleich Gemeindehaus ist, das man zum Feiern mieten kann. Das werden
     ja tolle Wochenenden. Genau deshalb zieht man doch in die idyllische Stille auf dem Land, damit man jeden Freitag und Samstag
     dem lieblichen Geblöke der Fußballenthusiasten lauschen darf. Es ist die Nachtigall, Geliebte, nein, es ist die Lerche, nein,
     es ist der Fußballclub.
    «…   wer weiß, wann wir uns wiedersehen!» Wenn es nach mir geht: nie wieder.
    Ich kann mir nicht helfen, Gegröle, Gelächter und Flaschengeklirre versetzen mich von jeher in Stress. Ich empfinde sie als
     bedrohlich. Also liege ich wieder in der Pharaonenstellung und starre. Zwinge mich und die Hunde zur Ruhe. Wenn Sonja mir
     jetzt prophezeite, dass ich eines Tages selber über die Dorfstraße wanken würde, glückselig russische Volkslieder grölend,
     ich würde sie für verrückt erklären   …
    Etwas gluckst neben mir. Sonja lacht in sich hinein. «Eines muss man ihnen lassen: Feiern können sie, die Amerikaner!»
    |44| Sonja hat recht: Sie feiern, und man muss es ihnen lassen. Und es
wird
ihnen gelassen. Kein Mensch im Dorf beschwert sich, jedem ist klar: Leise feiern ist gleich nicht feiern. Das Leben aber braucht
     das Feiern. Ich habe gerade ein Land verlassen, das ich als zu eng empfand. Das Land Zwinglis und Calvins. Das Land der Ruhe-Diktatur.
     Das Land, in dem man vor dem Feiern eine Sondergenehmigung beantragt. In dem generell nur bis 22   Uhr gefeiert werden darf. Und man zum laut Lachen gefälligst in den Keller geht, noch besser in den behördlich vorgeschriebenen
     und vorschriftsmäßig eingerichteten privaten Atombunker. Damit die Umwelt ja nicht kontaminiert wird vom Lachen.
    «Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit der anderen beginnt.» Schön und gut. Aber wer sind diese «anderen»,
    
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