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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
Autoren: Karl Marlantes
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psychischen und zeitlichen Distanz zwischen ihnen.
    Wir waren in den Bergen nördlich von Khe Sanh und sollten eine Artilleriestellung schützen, die zwei westlich von uns kämpfende Infanteriekompanien unterstützte, direkt an der Grenze zu Laos. Die beiden Kompanien waren mit mehr Gegenwehr konfrontiert, als sie bewältigen konnten, also wurden wir so nahe bei ihnen abgesetzt wie möglich, um mit in den Kampf eingreifen zu können.
    Am nächsten Tag hätte ich meinen Urlaub antreten sollen. Natürlich war ich stinksauer.
    Ich war schon seit langer Zeit im Land und immer noch voller Angst, aber nachdem ich so viel Sterben gesehen hatte, wurde diese Angst von einem tauben Fatalismus verdeckt. Ehrlich, was mich am meisten beschäftigte, war nicht der bevorstehende Kampf, sondern dass ich bald schon im Dreck stecken und meinen Urlaub in Hongkong verpassen würde. Der Zugang nach Hongkong war limitiert, und ich hatte ewig darauf gewartet.
    Wir mussten uns beeilen, alles geben, um die beiden Kompanien zu erreichen, und erklommen einen steilen Grat, wo der Dschungel noch vom Napalm brannte. Nackte Stämme schwitzten Feuchtigkeit und Rauch aus, alles Laub war verbrannt, wodurch wir direkt der drückenden Tropensonne ausgesetzt waren, die uns ihre sengende Hitze in eine beißende, fettige Luft schickte. Bald schon waren wir rußverschmiert. Der schwarze Dreck drang uns in Kehlen, Lungen und Augen, aber wir mussten streng mit unserem Wasser haushalten, denn wer sich über einen Grat bewegt, ist weit von allen Bächen entfernt. Wir wateten durch Asche, die uns bis über die Stiefel reichte, die erstickende Luft roch wie Öl, Schweiß vermischte sich mit Ruß und klebte uns Hemden und Hosen auf die Haut. Das Wasser aus unseren Plastiktrinkflaschen rann uns heiß über die Zungen.
    Am späten Vormittag erreichten wir das Kampfgebiet. Und ich verlor noch mehr Freunde.
    Am nächsten Vormittag sagte der Kompaniechef, ich könne in meinen Urlaub, wenn ich alleine aus dem Busch fände. Ich half, ein paar Verwundete zum Hubschrauberlandeplatz [4] zu bringen, und hoffte darauf, dass auch für mich ein Platz frei wäre. Der Landeplatz geriet immer wieder unter Beschuss durch Scharfschützen und Mörserfeuer. Wenn es sich bei den Verwundeten nicht um Notfälle handelte, die höchste Priorität genossen, würde niemand für sie reinfliegen, und schon gar nicht, um irgendeinen Landser in den Urlaub zu schaffen.
    Ich saß fest, niedergeschlagen versuchte ich mir Hongkong vorzustellen und kochte innerlich, weil die Kompanie, die den Auftrag hatte, die Scharfschützen und Mörser der NVA auszuschalten, noch kein verdammtes Stück weitergekommen zu sein schien.
    Dann wurde ein Junge mit schlimmen Blutungen gebracht, gegen die unsere Sanitäter nichts tun konnten, was die Priorität für den Evakuierungshubschrauber in die Höhe trieb. Fünfzehn Minuten später flog ein einsamer Huey [5] den steilen Grat hinauf. Die Hitze und die dünne Höhenluft machten den Aufstieg schwer. Als der Hubschrauber ins Blickfeld kam, hörte ich das dumpfe Wummern der Mörser, die ihre Granaten in einem hohen Bogen auf ihr Ziel abschossen. Ich hatte so ein Gefühl, wo das Ziel liegen könnte.
    Aber das sollte mich nicht abschrecken. Während die Granaten rings um den Hubschrauber detonierten, half ich, die Verwundeten an Bord zu schaffen, schleppte sie unter den wirbelnden Rotoren durch und schob schließlich auch noch den letzten wie ein irrer U-Bahn-Drücker in Tokio durch die Luke. Ich starrte in den Hubschrauber. Es war kein Platz mehr für mich. Vor mir war eine Wand Verwundeter, die fast aus der Seitenöffnung des Huey fielen.
    Die Sanitäter und Krankenträger rannten zurück in ihre Löcher, und die Rotoren über mir wurden schneller. Der letzte Marine, den ich an Bord gehievt hatte, trug einen Arm in der Schlinge. Da wir während des Wartens auf den Vogel zusammengesessen und geschwatzt hatten, wusste er, dass ich meinen Flug von Da Nang verpassen würde. Urlaub ist für einen Soldaten etwas Geheiligtes, und er rief: »Nimm meine Hand und flieg auf der Kufe mit.«
    Ich sprang Richtung Tür, suchte nach der langen Landekufe des Huey und verschränkte meinen linken Arm mit dem gesunden Arm des Verwundeten. Der Vogel war bereits in der Luft, und der Pilot hatte keine Ahnung, dass ich noch mitzukommen versuchte. Er hatte zu viel damit zu tun, einen Weg zu finden, wie er den überladenen Hubschrauber vom Berg herunterbringen konnte, ohne abgeschossen zu
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