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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
Autoren: Karl Marlantes
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werden. Sie werden nicht in der Kindheit geschaffen, dennoch können wir als Eltern sehr viel für die Ausbildung der Charakterstärke tun, die zu ihrer Beherrschung notwendig ist. Wenn diese Kräfte sich zeigen, müssen wir richtig reagieren, oder sie richten womöglich großen Schaden an. Ohne die nötige Charakterstärke ist das Ego hilflos, wenn es zu einer entsprechenden Situation kommt und die unbewussten Kräfte Körper und Denken mit sich reißen. Der Verlust des Egos, unseres »Ichs«, ist, folgt man den meisten mystischen Traditionen, der Weg zur Ekstase, kann aber auch der Weg in den Schrecken sein.
    Vor fast dreitausend Jahren hat Homer seinen Helden Odysseus über diese Kriegerenergie sagen lassen:
    »… Entschlossenheit hatte mir Ares verliehen und Athene
    Und vertilgende Kraft! Wann ich, dem Feinde zu schaden,
    Mit erlesenen Helden im Hinterhalte versteckt lag,
    Schwebte mir nimmer des Todes Bild vor der mutigen Seele,
    Sondern ich sprang zuerst von allen hervor und streckte
    Jeglichen Feind in den Staub, den meine Schenkel ereilten.
    Also focht ich im Krieg und liebte weder den Feldbau
    Noch die Sorge des Hauses und blühender Kinder Erziehung;
    Aber das Ruderschiff war meine Freude beständig,
    Schlachtengetös und blinkende Speer’ und gefiederte Pfeile,
    Lauter schreckliche Dinge, die andre mit Grauen erfüllen!
    Aber ich liebte, was Gott in meine Seele geleget 
…«
[85]
    Die großen Mütter wie Mutter Teresa und die großen Kämpfer wie Lewis B. »Chesty« Puller sind Menschen, die ihr Leben der ihnen vom Himmel geschenkten Kraft widmen. Diese Menschen haben extrem viel von dem bekommen, von dem die meisten von uns nur kleinere Teile in sich tragen. Frauen können kurz in das Reich der großen Mutter eintreten, wenn sie ein Kind gebären. Ich selbst habe in Vietnam eine Zeit lang das Reich des Mars betreten. Einige von uns werden von diesen Energien und archetypischen Kräften bei lebendigem Leib verschlungen, andere lösen sich wieder von ihnen und wenden sich anderen Aktivitäten zu. Zu erkennen, dass wir diese Energien in uns tragen, aber ihnen unser Leben nicht widmen müssen, erlaubt es uns, sie zu benutzen, ohne von ihnen benutzt zu werden oder von der Gesellschaft dahin gedrängt zu werden, uns von ihnen benutzen zu lassen. Zu versuchen, diesen Energien durch Unterdrückung oder Scham zu entgehen, kann nicht nur nicht gelingen, sondern es ist für den Einzelnen und die Gesellschaft sehr schädlich, obwohl gegenwärtig eine Menge gesellschaftlicher Kräfte und Politiker genau das tun. Uns benutzen zu lassen, schädigt uns, wie gesagt, wobei Frauen eher von der Mutter und Männer eher vom Krieger manipuliert und vernichtet werden. Um zu einem gesunden Verhältnis zu beiden zu kommen, müssen wir zunächst erkennen, »was Gott in unsere Seele geleget«.
    Wenn wir den Umgang mit diesen Energien als unsere individuelle Verantwortung betrachten, wie gehen wir dann damit um? Wie sollen wir das Böse darin erkennen und eingestehen, ohne ihm nachzugeben und es auszuleben? Wie sollen wir Krieger sein, die ihrem Wesen nach Gewalt ausüben, und uns dennoch unsere Menschlichkeit bewahren? Unsere einzige Hoffnung besteht darin, die Mars-Energie klar zu erkennen, sodass wir uns davon getrennt sehen können, obwohl sie doch ein Teil von uns ist. Die Tragödie von Krieg und Gewalt wird sich nicht begrenzen lassen, solange wir das nicht begreifen. Dann reißt uns die Kraft mit sich, vernichtet unser Ich und macht uns zu Menschen, die von ihren dunklen Seiten regiert werden. »Kontrolliere dich selbst« ist das zweite große Prinzip des ethisch bewussten Kriegers.
    Unsere Antwort auf das Problem, das Tier in uns im Zaum zu halten, während wir in einen verheerenden Krieg verwickelt sind, ist das typische Hin und Her zwischen Extremen, in das wir flüchten, wenn wir mit offenbar unvereinbaren Anforderungen konfrontiert sind. Im einen Extrem sagen wir »Krieg ist die Hölle« und entschuldigen damit, dass wir Tokio mit Vernichtung überziehen, Papphäuser in Brand setzen, Zivilisten verbrennen und ein Vierteljahrhundert später in Vietnam das Gleiche mit Napalm tun. Im anderen Extrem tun wir alles, um den Krieger im Zaum zu halten, in der falschen Hoffnung, dass damit auch die Bestie in Schach gehalten würde. Wir ringen die Hände und legen den Finger in die Wunde, während alles, was uns wichtig und lieb ist, unsere Kinder, unsere Ideale, unsere Werte, von der Bestie der anderen Seite in den Dreck
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