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Wallenstein (German Edition)

Wallenstein (German Edition)

Titel: Wallenstein (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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eingesperrt. Die Büttel, von den Angehörigen des Kindes noch bestochen, ließen ihre Wut an ihm aus.
    Ferdinand aber schien, seit er die Quälereien von der Fechterbande erfahren hatte, ein vollkommener Narr geworden zu sein. Er war von einer flutenden, stoßweise ihn durchrollenden Erregung heimgesucht. Wie ihn die Räuber auf die Straße warfen und er gefangengenommen wurde, war er, als wäre er alle Sorgen losgeworden. Er hatte schon die Wallonen im Wald nicht, wie die Buben erzählten, aufgefordert, ihn zu befreien, sondern nur von sich erzählt. Er sei in einem hohen Amt gewesen, hätte es aufgegeben. Denn das Regieren hätte wenig Zweck. Es läuft alles von selbst. Es ist auch alles gut, hätte er erkannt; man müsse nur wissen wie. Man könne mit ihm tun, was man wolle, man täte ihm nicht weh. Er forderte die Wallonen geradezu auf, ihm doch Hiebe zu versetzen, sie täten ihm Gutes damit an. Als ihm einer dann einen Faustschlag gegen die Schulter gab, sank er in das Gras, wand sich vor Schmerz, aber lächelte verzerrt: es mache nichts, es täte ihm wohl; sie ließen ihn blaß, halb ohnmächtig sitzen. Im Stadtkerker wurde er gemißhandelt, daß er meist seine Besinnung verlor. Sobald er aber frei war, erzählte er wieder, er sei der Kaiser Ferdinand, der Römische Kaiser, es ginge ihm jetzt besser. Wie gegen einen Klotz verfuhr man mit ihm; um ihm Geständnisse zu erpressen, brannte man ihn an Stirn und Arm und streute Salz in die Wunden. Er gab zu, was er von der Bande wußte, sich selbst beschuldigte er nicht. In dem Keller stand er bei jeder Vernehmung vor dem Richter und dem Henker, der gebückte graue Mann, bejammerte Richter und Henker, beschwor sie, an sich zu denken und nicht an das Gesetz und den Kaiser; er sei Kaiser gewesen, er spräche sie frei von der Verpflichtung; Mehrer des Reiches möchte er sein, und darum möchten sie davon ablassen, ihn zu quälen: es helfe ihnen nichts.
    Er rief sie an: »Ihr müßt euch freuen. Es ist Mai oder Juni. Es ist eine schöne Zeit. Macht nicht so finstere Mienen. Euer Handwerk verdirbt euch, es macht euch die Brust eng. Würde doch kein Tier so finster und trübe leben wollen wie ihr. Lacht. Wenn man lacht, begrüßt man die anderen Wesen.« Sogar nach einer peinlichen Prozedur des Streckens bat er matt: »Ihr müßt nicht so strenge Mienen machen. Es ist ja alles in der Welt so schön. An mir müßt ihr keinen Anstoß nehmen. Ich bin kein Schelm; meinetwegen braucht ihr euch nicht zu erbittern. Und auch mit den andern könntet ihr fröhlicher fertig werden. Fröhlich, fröhlich. Ich bin es auch und möchte darum leben.« Er glitt an seiner Stange entlang.
    Sie lachten aber nicht. Und ganz finster wurden sie erst, als der Henker eines Morgens Grimmers Zelle leer fand.
    Die Klopffechterhorde hatte von seiner Einkerkerung gehört; sie gereute es nicht gerade, ihn überliefert zu haben, aber sie wollten dem Ratsherrn einen Possen spielen, nachdem sie um den Prellohn gekommen waren. Sie überwältigten, da sie starke Menschen waren, eines Nachts die Posten der Stadtwache vor dem Kerker, nachdem sie unbemerkt über die Mauer gestiegen waren. Grimmer, vom Fackellicht aufgeschreckt, blinzelte sie aus dem Stroh an; sein Gesicht tieftraurig, er erkannte sie nicht. Dann, als sie ihn anhoben und mit einem Mantel bedeckten, begrüßte und streichelte er sie flüsternd. Sie schleppten ihn mühselig über die Mauer, Ferdinand verbiß jeden Schmerz. Während sie selbst vor Übermut kicherten, mußten sie seinen Jubel dämpfen. Der dicke Steinschneider, der sein Pferd führte, fragte ihn, als sie davon durch den sausenden Wald ritten, ob er nicht einen Priester haben wollte. Ferdinand lachte: »Noch nicht. An meinen Heiland glaube ich. Aber wenn ich Sünden bekennen sollte, ich wüßte nicht, welche ich bekennen sollte.« »Du bist schlecht«, warnte der andere. »Nein, verzeih mir. Es hat sich mir alles verwischt. Weißt du, wo ist Sünde und Tugend?«
    Nach vierstündigem Ritt lagerten sie in einer Hütte, wo die anderen Gesellen schon warteten, blieben dort ungestört einige Tage. Ferdinand lobte sie für die Wohltat an ihm. Sie ließen ihn viel allein.
    Als man zu dem tief gelbsüchtigen fiebernden Ferdinand, dessen Körper aus vielen Wunden eiterte, einen Barfüßermönch schickte, weinte er heftig, gestand: »Die Sünde, ja, das ist es.«
    »Nun siehst du.«
    »Ich kenne sie, ich weiß, was Sünde ist.«
    »Siehst du.«
    »Nur, ich kann sie nicht fühlen. Mir ist alles
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