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Wallander 06 - Die fünfte Frau

Wallander 06 - Die fünfte Frau

Titel: Wallander 06 - Die fünfte Frau
Autoren: Henning Mankell
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Wärme, die sie in weiter Ferne erwartete.
     
    Als alles still war, stieg sie vorsichtig die Treppe des Turms hinunter. Sie leuchtete mit ihrer Taschenlampe in den Graben.
    Der Mann, der Holger Eriksson hieß, war tot.
    Sie knipste die Lampe aus und stand still im Dunkeln.
    Dann ging sie hastig davon.

|30| 2
    Kurz nach fünf Uhr am Montagmorgen, dem 26.   September, erwachte Kurt Wallander in seinem Bett in der Wohnung an der Mariagatan im Zentrum von Ystad.
    Als er die Augen aufgeschlagen hatte, sah er als erstes seine Hände an. Sie waren braungebrannt. Er ließ den Kopf wieder aufs Kissen fallen und lauschte dem Herbstregen, der an sein Schlafzimmerfenster trommelte. Ein Gefühl des Wohlbehagens überkam ihn bei der Erinnerung an die Reise, die vor zwei Tagen auf dem Flughafen Kastrup zu Ende gegangen war. Eine ganze Woche hatte er mit seinem Vater in Rom verbracht. Es war sehr warm gewesen, und er war braun geworden. An den Nachmittagen, in der größten Hitze, hatten sie sich eine Bank im Park der Villa Borghese gesucht, wo sein Vater im Schatten sitzen konnte, während er selbst sein Hemd auszog und sich mit geschlossenen Augen in die Sonne setzte. Ihre einzige Meinungsverschiedenheit auf der ganzen Reise bestand darin, daß sein Vater überhaupt nicht verstand, wie er so eitel sein konnte, Zeit aufs Braunwerden zu verwenden. Aber es war eine unbedeutende Meinungsverschiedenheit, beinahe als sei sie nur entstanden, um ihnen die Reise im richtigen Licht erscheinen zu lassen.
    Die glückliche Reise, dachte Wallander. Wir sind nach Rom gefahren, mein Vater und ich, und es ist gutgegangen. Es ging besser, als ich mir je hätte vorstellen oder erhoffen können.
    Er sah zur Uhr auf dem Nachttisch. Er mußte an diesem Morgen wieder seinen Dienst antreten. Aber er hatte keine Eile. Er würde noch lange im Bett liegenbleiben. Er beugte sich über den Zeitungsstapel, in dem er am Abend zuvor geblättert hatte. Er las noch einmal das Ergebnis der Reichstagswahl nach. Da er am Wahltag in Rom war, hatte er seine Stimme per Briefwahl abgegeben. Jetzt konnte er feststellen, daß die Sozialdemokraten gut |31| fünfundvierzig Prozent der Stimmen bekommen hatten. Aber was würde das bedeuten? Würde sich etwas ändern?
    Er ließ die Zeitung auf den Boden fallen und kehrte in Gedanken noch einmal nach Rom zurück.
    Sie hatten in einem einfachen Hotel in der Nähe des Campo dei Fiori gewohnt. Von einer Dachterrasse über ihren beiden Zimmern hatten sie eine schöne Aussicht über die ganze Stadt. Sie tranken dort ihren Frühstückskaffee und machten Pläne für den Tag. Es hatte keinerlei Diskussionen gegeben. Wallanders Vater wußte stets, was er sehen wollte. Wallander hatte sich zuweilen Sorgen gemacht, daß der Vater zuviel wollte und sich übernähme. Auch hatte er ständig nach Anzeichen dafür gesucht, daß sein Vater verwirrt oder abwesend war. Es war eine schleichende Krankheit, das wußten sie beide, diese Krankheit mit dem sonderbaren Namen Alzheimer. Aber die ganze Woche, die ganze Woche dieser glücklichen Reise, war der Vater in blendender Stimmung gewesen. Wallander spürte einen Klumpen im Hals bei dem Gedanken, daß die Reise bereits der Vergangenheit angehörte und nur noch Erinnerung war. Sie würden nie mehr nach Rom zurückkehren, sie hatten die Reise dieses eine Mal gemacht, er und sein bald achtzigjähriger Vater.
    Es hatte Augenblicke großer Nähe zwischen ihnen gegeben. Zum erstenmal seit fast vierzig Jahren.
    Wallander dachte daran, wie er entdeckt hatte, daß sie einander sehr ähnlich waren, viel ähnlicher, als er früher wahrhaben wollte. Nicht zuletzt waren sie beide ausgeprägte Morgenmenschen. Als Wallander seinem Vater eröffnete, daß das Hotel vor sieben Uhr kein Frühstück servierte, hatte dieser sofort protestiert. Er hatte Wallander mit hinunter an die Rezeption geschleift und in einer Mischung aus Schonisch, ein paar englischen Brocken, vielleicht auch ein paar deutschen, vor allem aber einer Reihe unzusammenhängender italienischer Phrasen klargemacht, daß er
breakfast presto
haben wolle. Nicht
tardi
. Auf gar keinen Fall
tardi
. Aus irgendeinem Grund hatte sein Vater auch mehrmals
passaggio a livello
gesagt, als er von der Notwendigkeit sprach, daß das Hotel das Frühstück eine Stunde früher servierte, nämlich um sechs Uhr, und sie würden entweder ihren Kaffee bekommen oder sich |32| gezwungen sehen, ein anderes Hotel zu nehmen.
Passaggio a livello
, sagte sein Vater, und das
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