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Wallander 06 - Die fünfte Frau

Wallander 06 - Die fünfte Frau

Titel: Wallander 06 - Die fünfte Frau
Autoren: Henning Mankell
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diesem Abend, dort draußen am Grab auf dem dunklen Friedhof, endete auch die Ermittlung. Noch würde es Papiere zum Durchlesen und Unterschreiben geben. Aber es mußten keine Nachforschungen mehr angestellt werden. Der Fall war geklärt und abgeschlossen. Die gerichtspsychiatrische Untersuchung |557| würde zu dem Ergebnis führen, daß man sie für voll zurechnungsfähig erklärte. Falls sie etwas aus ihr herausbekamen. Dann würde sie verurteilt werden und in Hinseberg hinter Gittern verschwinden. Die Ermittlung dessen, was ihrer Mutter geschehen war, würde weitergehen. Doch das berührte seine Arbeit nicht.
    In der Nacht zum 5.   Dezember schlief er sehr schlecht. Am nächsten Tag wollte er ein Haus etwas nördlich der Stadt besichtigen. Außerdem wollte er einen Hundezüchter in Sjöbo besuchen, der schwarze Labradorwelpen verkaufte. Am 7.   Dezember würde er dann nach Stockholm reisen, um am folgenden Tag an der Polizeihochschule Vorträge über seine Sicht der Polizeiarbeit zu halten. Warum er plötzlich nachgegeben hatte, als Lisa Holgersson ihn erneut deswegen ansprach, wußte er nicht. Und als er jetzt wach lag und sich fragte, worüber er um Himmels willen reden sollte, begriff er nicht, wie es ihr gelungen war, ihn zu überreden.
    Aber vor allem dachte er in dieser unruhigen Nacht zum 5.   Dezember an Baiba. Mehrmals erhob er sich und stand am Küchenfenster und starrte auf die schwankende Straßenlaterne.
    Unmittelbar nachdem er aus Rom zurückgekehrt war, Ende September, hatten sie beschlossen, daß sie kommen werde, möglichst bald, nicht später als November. Jetzt mußten sie ernsthaft dazu Stellung nehmen, ob sie aus Riga nach Schweden umsiedeln sollte. Aber plötzlich konnte sie nicht kommen, die Reise wurde verschoben, zuerst einmal, dann noch einmal. Es gab Gründe, sogar ausgezeichnete Gründe dafür, daß sie nicht kommen konnte, noch nicht, im Moment gerade nicht. Wallander glaubte ihr natürlich. Aber irgendwo entstand auch eine Unsicherheit. War er schon da, unsichtbar zwischen ihnen? Ein Riß, den er nicht gesehen hatte? Und warum hatte er ihn nicht gesehen? Weil er nicht wollte?
    Jetzt würde sie auf jeden Fall kommen. Sie würden sich am 8.   Dezember in Stockholm treffen. Er würde gleich von der Polizeihochschule nach Arlanda fahren, um sie abzuholen. Den Abend würden sie mit Linda verbringen und am nächsten Morgen nach Schonen fahren. Wie lange sie bleiben konnte, wußte er nicht. Aber diesmal würden sie ernstlich über die Zukunft |558| sprechen, nicht nur darüber, wann sie sich das nächstemal treffen konnten.
    Die Nacht zum 5.   Dezember wurde zu einer langen, schlaflosen Nacht. Es war wieder milder geworden. Doch die Meteorologen hatten Schnee angesagt. Wallander wanderte wie ein ruheloser Geist zwischen dem Bett und dem Küchenfenster hin und her. Dann und wann setzte er sich an den Küchentisch und machte sich in einem vergeblichen Versuch, einen Einstieg zu finden, Notizen für das, worüber er in Stockholm sprechen sollte. Gleichzeitig dachte er unablässig an Yvonne Ander und ihre Erzählung. Sie war unmittelbar gegenwärtig in seinem Bewußtsein und schob sich sogar vor seine Gedanken an Baiba.
    Dagegen dachte er sehr wenig an seinen Vater. Er war bereits weit weg. Wallander fiel es zuweilen schwer, sich alle Details seines zerfurchten Gesichts in Erinnerung zu rufen. Dann mußte er zu einer Fotografie greifen und sie betrachten, damit ihm das Erinnerungsbild nicht völlig entglitt. Im November war er abends einige Male zu Gertrud hinausgefahren. Das Haus in Löderup war sehr leer, das Atelier kalt und abweisend. Gertrud machte stets den Eindruck, sehr gefaßt zu sein. Aber einsam. Es kam ihm vor, als habe sie sich damit getröstet, daß der Verstorbene ein alter Mann war; und daß er darüber hinaus einen Tod bekommen hatte, der dem langsamen Dahinsiechen an einer Krankheit, die nach und nach sein Bewußtsein auslöschte, vorzuziehen war.
    Vielleicht hatte Wallander in der Morgendämmerung kurz geschlafen. Vielleicht war er die ganze Zeit wach. Um sieben war er jedenfalls schon angezogen.
    Um halb acht fuhr er in seinem Wagen, dessen Motor verdächtig stotterte, zum Polizeipräsidium. Gerade an diesem Morgen war es sehr still. Martinsson war erkältet, Svedberg war widerwillig mit einem dienstlichen Auftrag nach Malmö gefahren. Der Korridor war verlassen. Er setzte sich in sein Zimmer und las die Abschrift der Aufzeichnungen von seinem letzten Gespräch mit
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