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Wallander 06 - Die fünfte Frau

Wallander 06 - Die fünfte Frau

Titel: Wallander 06 - Die fünfte Frau
Autoren: Henning Mankell
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Graben.
Vielleicht faßten diese Worte am besten zusammen, wie Wallander in diesem Herbst die vielen Gespräche mit Yvonne Ander in der Haftanstalt erlebte.
    Er dachte, daß dies ein Bild der Zeit war, in der er lebte.
    Was für einen Graben grub er selbst?
    Eine einzige Frage wurde nie beantwortet. Warum sie sich plötzlich, irgendwann Mitte der achtziger Jahre, zur Zugbegleiterin hatte umschulen lassen. Wallander hatte erkannt, daß Zeitpläne, Fahrpläne die Liturgie darstellten, nach der sie lebte; das Handbuch der Regelmäßigkeit. Aber er sah eigentlich keinen Grund, an diesem Punkt weiterzubohren. Die Züge blieben ihre eigene Welt. Vielleicht die einzige, vielleicht die letzte.
    |555| Fühlte sie sich schuldig? Per Åkesson fragte ihn danach. Viele Male. Lisa Holgersson weniger oft, seine Kollegen fast nie. Die einzige außer Åkesson, die wirklich darauf bestand, es zu erfahren, war Ann-Britt Höglund. Wallander antwortete wahrheitsgemäß, daß er es nicht wisse.
    »Yvonne Ander ist ein Mensch«, antwortete er ihr, »der an eine gespannte Feder erinnert. Ich kann es nicht besser ausdrücken. Ob die Schuld darin enthalten ist. Oder ob sie weg ist.«
    Am 4.   Dezember endete es. Wallander hatte nichts mehr zu fragen, Yvonne Ander nichts mehr zu sagen. Das schriftliche Geständnis war fertig. Wallander hatte das Ende des langen Abstiegs erreicht. Jetzt konnte er an dem unsichtbaren Seil ziehen, das er um den Leib gebunden hatte, und wieder nach oben zurückkehren. Die gerichtspsychiatrische Untersuchung würde ihren Anfang nehmen, der Verteidiger, der öffentliches Aufsehen um den Prozeß gegen Yvonne Ander witterte, begann, seine Bleistifte zu spitzen, und nur Wallander ahnte, wie es kommen würde.
    Yvonne Ander würde wieder schweigen. Mit dem entschiedenen Willen eines Menschen, der weiß, daß er nichts mehr zu sagen hat.
    Bevor er ging, fragte er sie nach zwei Dingen, auf die er noch keine Antwort bekommen hatte. Das eine war ein Detail, das nichts mehr bedeutete. Er fragte eher aus Neugier.
    »Als Katarina Taxell ihre Mutter aus Vollsjö anrief, war da ein Schlagen oder Pochen. Wir haben nie herausgefunden, woher das Geräusch kam.«
    Sie sah ihn verständnislos an. Dann hellte sich ihr ernstes Gesicht zu dem einzigen Lächeln auf, das Wallander während aller Gespräche mit ihr erlebte.
    »Auf dem Acker neben dem Haus war ein Traktor kaputtgegangen. Der Bauer stand da und schlug mit einem großen Hammer, um irgend etwas am Untergestell loszubekommen. Konnte man das wirklich im Telefon hören?«
    Wallander nickte. Er dachte schon an seine letzte Frage.
    »Ich glaube, wir sind uns schon einmal begegnet«, sagte er. »In einem Zug.«
    Sie nickte.
    |556| »Südlich von Älmhult? Ich habe Sie gefragt, wann wir in Malmö ankämen.«
    »Ich habe Sie erkannt, aus Zeitungen. Vom letzten Sommer.«
    »War Ihnen da schon klar, daß wir Sie fassen würden?«
    »Warum hätte es das sein sollen?«
    »Ein Kriminalbeamter aus Ystad, der in Älmhult in einen Zug steigt. Was macht er da? Wenn er nicht den Spuren dessen folgt, was einst Gösta Runfelts Frau passiert ist?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Daran habe ich nie gedacht«, antwortete sie. »Aber ich hätte es natürlich tun sollen.«
    Wallander hatte nichts mehr zu fragen. Er hatte erfahren, was er wollte. Er stand auf, murmelte etwas zum Abschied und ging.
    Am Nachmittag suchte er wie gewöhnlich das Krankenhaus auf. Ann-Britt Höglund lag nach ihrer letzten Operation in einem Aufwachzimmer und schlief noch. Aber Wallander erhielt von einem freundlichen Arzt die Bekräftigung, die er erhoffte. Alles war gut verlaufen. In einem halben Jahr würde sie wieder Dienst tun können.
    Wallander verließ das Krankenhaus kurz nach fünf Uhr. Es war schon dunkel, zwei oder drei Grad minus, windstill. Er fuhr zum Friedhof und ging zum Grab seines Vaters. Verwelkte Blumen waren am Boden festgefroren. Noch waren keine drei Monate vergangen, seit sie Rom verlassen hatten. Die Reise wurde ihm dort am Grab wieder gegenwärtig. Er fragte sich, was sein Vater wohl gedacht hatte auf seinem einsamen nächtlichen Spaziergang zur Spanischen Treppe und zu den Brunnen, als seine Augen glänzten.
    Es war, als könnten Yvonne Ander und sein Vater auf den gegenüberliegenden Ufern eines Flusses stehen und einander zuwinken. Obwohl sie nichts gemeinsam hatten. Oder doch? Wallander fragte sich, was er selbst mit Yvonne Ander gemeinsam hatte. Die Antwort darauf wußte er natürlich nicht.
    An
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