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Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga
Autoren: Henning Mankell
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waren die ganze Zeit über eingeschränkt gewesen. Aber jetzt beim Aufwachen spürte er, daß auch seine eigene Müdigkeit drohte, ihn zu besiegen. Er mißtraute seinem Urteilsvermögen und wußte, daß dies auf den dauernden Schlafmangel zurückzuführen war.
    Er versuchte, das nagende Gefühl der Bedrohung, mit dem er eben erwacht war, zu deuten. Was hatte er übersehen? Wo hatte er bei seinen Versuchen, Zusammenhänge zu erkennen, einen Fehler gemacht oder nicht bis zu Ende gedacht?
Was sah er immer noch nicht?
Er mußte sich auf seinen Instinkt verlassen, der gerade jetzt, in diesem benebelten Zustand, seine einzige Möglichkeit war, sich zu orientieren.
    Was sah er immer noch nicht? Er setzte sich vorsichtig im Bett auf. Dann riskierte er widerwillig zum ersten Mal einen Blick auf seine geschwollene Hand und ließ kaltes Wasser in |324| das Waschbecken einlaufen. Zuerst tauchte er sein Gesicht ein und dann die verletzte Hand. Ein paar Minuten später ging er zum Fenster und zog die Vorhänge zur Seite. Ein starker Braunkohlegeruch schlug ihm entgegen. Über der Stadt mit ihren vielen Kirchtürmen brach gerade eine feuchte Morgendämmerung an. Er blieb am Fenster stehen, betrachtete die auf den Bürgersteigen vorbeieilenden Menschen und wußte nicht, was er nicht sah.
    Schließlich verließ er das Zimmer, bezahlte und ließ sich von der Stadt schlucken.
    Als er durch eine der vielen Parkanlagen ging, an deren Namen er sich nicht mehr erinnerte, wurde ihm auf einmal klar, daß Riga eine Stadt mit vielen Hunden war. Da war nicht nur die unsichtbare Hundemeute, die ihn jagte. Es gab auch andere Hunde, wirkliche und ganz normale, mit denen Leute spazierengingen und spielten. Er blieb stehen und beobachtete zwei Hunde, die sich gerade mächtig in der Wolle hatten. Der eine war ein Schäferhund, der andere eine unbestimmbare Promenadenmischung. Die beiden Besitzer versuchten, die Hunde auseinanderzureißen, schrien sie an und gingen dann dazu über, sich gegenseitig anzubrüllen. Der Besitzer des Schäferhundes war ein älterer Mann, während die Promenadenmischung einer Frau um die Dreißig gehörte. Wallander hatte das Gefühl, eine stellvertretende Auseinandersetzung zu beobachten. Gleich einer Hundebalgerei prallten in diesem Land die Gegensätze aufeinander. Die Hunde schlugen sich genauso wie die Menschen, und der Ausgang war nicht absehbar.
    Um zehn kam er beim Zentralen Kaufhaus an, gerade als es öffnete. Die blaue Mappe brannte unter seinem Hemd. Sein Instinkt sagte ihm, daß er sie jetzt loswerden und ein vorübergehendes Versteck für sie finden mußte. Während seines morgendlichen Umherstreifens in der Stadt hatte er sämtliche Bewegungen vor und hinter sich genau beobachtet und war nun sicher, daß die Obersten ihn wieder eingekreist hatten. Es |325| schienen ihm mehr Beschatter zu sein, und er dachte bitter, daß sich ein Sturm zusammenbraute. Er blieb hinter dem Eingang des Kaufhauses stehen und tat, als lese er eine Informationstafel, während er einen Kundentresen beobachtete, an dem man Taschen und Tüten zur Aufbewahrung abgeben konnte. Der Tresen war über Eck gebaut, und er sah, daß er sich richtig erinnert hatte. Er ging zum Wechselschalter, schob einen schwedischen Hunderter über den Tisch und bekam ein Bündel lettischer Scheine zurück. Danach fuhr er in die Etage hinauf, wo sich die Schallplattenabteilung befand. Er entschied sich für zwei Schallplatten mit Musik von Verdi und stellte fest, daß die Platten ungefähr dasselbe Format hatten wie die Mappe. Als er bezahlte und die Platten in einer Plastiktüte bekam, entdeckte er den am nächsten stehenden Beschatter, der vorgab, sich für Jazzplatten zu interessieren. Wallander ging wieder hinunter zu dem Kundentresen und wartete, bis sich mehrere Leute davor versammelt hatten. Dann ging er hastig in die hinterste Ecke, zog die Mappe heraus und legte sie zwischen die Schallplatten. Das Ganze ging sehr schnell, auch wenn er nur eine Hand gebrauchen konnte. Er gab die Tüte ab, bekam eine Nummer und verließ den Tresen. Die Beschatter hatten sich im Eingangsbereich des Kaufhauses verteilt, aber er war trotzdem sicher, daß sie nicht gesehen hatten, wie er sich der Mappe entledigte. Natürlich bestand die Gefahr, daß sie die Tüte durchsuchten, aber er hielt es für unwahrscheinlich, weil sie schließlich mit eigenen Augen gesehen hatten, wie er zwei Schallplatten gekauft hatte.
    Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Nun waren es nur noch
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