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Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht

Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht

Titel: Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Autoren: Henning Mankell
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dieser verdutzt.
    »Schade«, sagte Wallander und ging.
    Vom Krankenhaus aus fuhr er auf direktem Weg zu dem braunen Polizeipräsidium an der östlichen Ausfallstraße der Stadt.
    |26| Er setzte sich an seinen Schreibtisch und sah zum Fenster hinaus, zu dem alten, roten Wasserturm hinüber.
    Vielleicht braucht die heutige Zeit eine andere Art von Polizisten, dachte er. Polizisten, die keine Miene verziehen, wenn sie an einem frühen Januarmorgen gezwungen sind, einen menschlichen Schlachthof in der südschwedischen Provinz zu betreten?
    Polizisten, die dann nicht, wie ich, von Unsicherheit und Angst erfaßt werden?
    Seine Gedankengänge wurden durch das Klingeln des Telefons unterbrochen.
    Das Krankenhaus, dachte er blitzschnell.
    Jetzt rufen sie an, um mitzuteilen, daß Maria Lövgren gestorben ist. Ob sie noch einmal zu Bewußtsein gekommen ist? Ob sie etwas gesagt hat?
    Er starrte auf das klingelnde Telefon.
    Scheiße, dachte er. Scheiße.
    Alles, nur das nicht.
    Aber als er den Hörer abnahm, war es seine Tochter. Er war so überrascht, daß er fast das Telefon vom Schreibtisch gerissen hätte.
    »Papa«, sagte sie, und er hörte, wie die Münze durchfiel.
    »Hallo«, antwortete er. »Von wo aus rufst du an?«
    Hauptsache, es ist nicht Lima, dachte er. Oder Katmandu. Oder Kinshasa.
    »Ich bin in Ystad.«
    Das machte ihn froh. Es bedeutete, daß er sie sehen konnte.
    »Ich wollte dich eigentlich besuchen kommen«, sagte sie. »Aber ich habe es mir anders überlegt. Ich bin jetzt auf dem Bahnhof. Ich fahr’ jetzt wieder. Ich wollte dir bloß noch sagen, daß ich dich wirklich sehen wollte.«
    Dann wurde die Leitung unterbrochen, und er saß da, mit dem Telefonhörer in der Hand.
    Es war ihm, als sei etwas gestorben, als sei etwas abgehackt worden, das er gerade noch in der Hand gehalten hatte.
    |27| Verdammte Göre, dachte er. Warum tut sie so etwas?
    Seine Tochter, die Linda hieß, war jetzt neunzehn Jahre alt. Bis zum Alter von fünfzehn war ihr Verhältnis gut gewesen. Wenn sie in Schwierigkeiten war oder gerne etwas haben wollte, um das sie sich nicht zu fragen traute, war sie immer zu ihm gekommen und nicht zu ihrer Mutter. Er hatte gesehen, wie sie sich von einem pummeligen Kind zu einer jungen Frau von trotziger Schönheit entwickelt hatte. Bevor sie fünfzehn geworden war, hatte sie nie enthüllt, daß es in ihr verborgene Dämonen gab, die sie eines Tages in eine trügerische und geheimnisvolle Landschaft hinaustreiben würden.
    An einem Frühlingstag, kurz nach ihrem fünfzehnten Geburtstag, hatte sie dann plötzlich, ohne die leiseste Vorwarnung, versucht, sich das Leben zu nehmen. Es war an einem Samstagnachmittag. Kurt Wallander war gerade dabei, einen der Gartenstühle zu reparieren, während seine Frau die Fenster putzte. Er hatte den Hammer beiseite gelegt und war ins Haus gegangen, getrieben von einer plötzlichen inneren Unruhe. Sie lag in ihrem Zimmer auf dem Bett und hatte versucht, sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern und die Halsschlagader aufzuschneiden. Später, als alles vorbei war, hatte der Arzt ihm eröffnet, daß sie gestorben wäre, wenn er nicht dazugekommen wäre und die Geistesgegenwart gehabt hätte, Druckverbände anzulegen.
    Er hatte den Schock nie wirklich überwunden. Das Verhältnis zwischen ihm und Linda war seitdem gestört. Sie zog sich von ihm zurück, und ihm war es nie wirklich gelungen zu verstehen, was sie eigentlich zu diesem Selbstmordversuch getrieben hatte. Sie brach die Schule ab, nahm Gelegenheitsjobs an, und es konnte vorkommen, daß sie für längere Zeit verschwand. Zweimal hatte seine Frau ihn dazu gedrängt, sie als vermißt zu melden und nach ihr zu suchen. Seine Kollegen hatten ihm den Schmerz darüber angesehen, daß Linda zum Gegenstand seiner eigenen Ermittlungsarbeit geworden war. Aber eines Tages kam sie dann zurück, und er konnte nur noch |28| durch heimliches Durchstöbern ihrer Taschen und Blättern in ihrem Paß die Reisen nachvollziehen.
    Zum Teufel, dachte er. Warum bleibst du nicht hier? Warum überlegst du es dir jetzt anders?
    Das Telefon klingelte wieder, und er riß den Hörer ans Ohr.
    »Hallo, hier ist Papa«, meldete er sich, ohne zu zögern.
    »Was soll das?« gab sein Vater zurück. »Warum meldest du dich mit Papa am Telefon? Ich dachte, du wärst Polizist?«
    »Ich habe jetzt keine Zeit, mit dir zu reden. Kann ich dich später zurückrufen?«
    »Nein, das kannst du nicht. Was gibt es denn so Wichtiges?«
    »Heute morgen ist
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