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Walking Disaster

Walking Disaster

Titel: Walking Disaster
Autoren: Jamie McGuire
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Kopf drehte sich alles. Thomas nahm mich auf den Arm und trug mich die Treppe hinauf. Als Dad so laut aufheulte, dass es durch das ganze Haus hallte, beschleunigte er seine Schritte.
    »Was hat sie dir gesagt?«, fragte Thomas und drehte den Hahn an der Badewanne auf.
    Ich antwortete nicht. Ich hörte ihn fragen und ich erinnerte mich daran, was sie zu mir gesagt hatte, aber ich konnte nicht antworten und auch nicht weinen.
    Thomas zog mir das schmutzige T-Shirt über den Kopf, die kurze Hose aus und auch die Unterhose mit dem MickeyMouse-Aufdruck.
    »Zeit für die Badewanne, Kleiner.« Er hob mich hoch und setzte mich ins warme Wasser, tauchte den Waschlappen ein und wrang ihn über meinem Kopf aus. Ich blinzelte nicht. Ich machte nicht einmal Anstalten, mir das Wasser vom Gesicht zu wischen, obwohl ich das eigentlich hasste.
    »Gestern hat Mom mir aufgetragen, mich um dich und die Zwillinge zu kümmern und auch auf Dad aufzupassen.« Thomas stützte die Hände auf den Badewannenrand, legte sein Kinn darauf und sah mich an. »Das werde ich also machen, Trav, ja? Ich werde mich um dich kümmern. Mach dir darum keine Sorgen. Wir werden Mom alle zusammen vermissen, aber hab keine Angst. Ich werde dafür sorgen, dass alles in Ordnung ist. Das verspreche ich dir.«
    Ich wollte nicken oder ihn umarmen, aber nichts ging. Obwohl ich doch eigentlich um sie hätte kämpfen sollen, saß ich hier oben in der Badewanne und konnte mich überhaupt nicht rühren. Ich hatte sie schon im Stich gelassen. In Gedanken versprach ich ihr, all das zu machen, worum sie mich gebeten hatte, sobald mein Körper wieder funktionierte. Sobald die Traurigkeit nachließ, würde ich immer spielen. Und kämpfen. So gut ich konnte.

1. KAPITEL
    Täubchen
    Verdammte Geier. Die konnten stundenlang auf dich lauern. Tagelang. Auch nachts. Starrten einfach durch dich hindurch, als überlegten sie, welche Teile sie als Erstes von dir runterhacken würden, was am süßesten schmecken würde, am zartesten oder auch, welche Stelle am bequemsten zu erreichen wäre.
    Was sie allerdings nicht wussten und nie vermutet hätten, war, dass die Beute nur so tat als ob. Insofern hat man mit den Geiern leichtes Spiel. Gerade wenn sie glauben, sie bräuchten nichts als ein bisschen Geduld, genau dann schlägst du zu. Anschließend bringst du deine Geheimwaffe zum Einsatz: totale Missachtung des Status Quo, die Weigerung, dich mit den Gegebenheiten abzufinden.
    Dann schockierst du sie damit, dass es dir scheißegal ist.
    Egal ob bei einem Gegner im Kampf, bei irgendeinem Vollidioten, der dich mit Beleidigungen bloßstellen will, oder bei einem Mädchen, das dich haben möchte – es funktioniert einfach immer.
    Schon von klein auf habe ich sehr sorgsam darauf geachtet, mein Leben so zu leben. Diese sentimentalen Arschlöcher, die ihr Herz sofort an jede berechnende Sirene verschenken, die ihnen einmal zugelächelt hat, sahen ja selbst, wie weit sie damit kamen. Aber irgendwie war ich der Einzige, der gegen den Strom schwamm. Der Außenseiter. Aber wenn ihr mich fragt, war die Methode der anderen die viel schwierigere. Gefühle außen vor zu lassen und sie durch Taubheit oder Wut zu ersetzen – die sich auch viel leichter kontrollieren lassen –, das war einfach. Wer sich Gefühle erlaubt, der wird verletzlich. So oft ich diesen Fehler meinen Brüdern, Cousins oder Freunden auch zu erklären versuchte, immer stieß ich auf Skepsis. Wie oft hatte ich sie heulen oder sich schlaflos die Nächte um die Ohren schlagen sehen wegen irgendeiner blöden Schlampe in Fuck-me-Schuhen, die sich sowieso einen Dreck um sie scherte. Ich begriff das einfach nicht. Frauen, die solchen Liebeskummer wert waren, würden sich nicht so leicht erbeuten lassen. Sie würden sich nicht am ersten Abend ins Bett kriegen lassen – nicht mal am zehnten.
    Meine Theorien wurden ignoriert, weil es eben anders funktionierte. Attraktivität, Sex, Verliebtheit, große Liebe und ein gebrochenes Herz. So lautete die logische Reihenfolge. Und zwar immer.
    Nur für mich nicht. Das kam verdammt noch mal überhaupt nicht in Frage.
    Ich hatte schon lange für mich beschlossen, dass ich die Geier füttern würde, bis eine Taube dahergeflogen käme. Ein Täubchen. Mit einem Charakter, der niemand leiden ließ. Jemand, der sich hauptsächlich um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte und versuchte, anderen nicht mit seinen Bedürfnissen und seinem Egoismus das Leben schwer zu machen. Mutig. Kommunikativ.
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