Wahrheit (Krimipreis 2012)

großen Stadt wieder in Besitz nehmen würden.
    Als Villani sich schließlich umgezogen und Cashin getroffen hatte, neigte sich der kalte Tag seinem Ende zu. Sie gingen dem Wind entgegen, das Laub glitt auf sie zu wie unruhiges Wasser, gelb und braun und blutrot, teilte sich an ihren Fußknöcheln.
    »Hab dich im Fernsehen gesehen«, sagte Cashin. »Hätte nie gedacht, dass ich mal einen Kripochef kennen würde.«
    »Man kann ein gutes Leben führen, ohne einen zu kennen«, sagte Villani. »Ein befriedigendes Leben. Was treibt dich um?«
    »Wird das wieder was mit dir und Laurie?«
    »Nein«, sagte Villani. »Das haben wir verbockt. Ich hab’s verbockt. Ich kann’s nicht wiedergutmachen. Kann gar nichts wiedergutmachen.«
    »Ruhe bewahren«, sagte Cashin. »Dann hört das Boot wieder auf zu schaukeln.«

    »Kein Singo mehr, Joe. Nie wieder.«
    »Es kommt einfach so raus«, sagte Cashin. »Ich war ein Schwamm.«
    »Ich bin jetzt schwammartig«, sagte Villani. »Nichts als Wasser und Löcher.«
    Drei Läufer tauchten auf, zwei massige Männer und eine schlanke Frau. Die Männer rannten nach rechts, die Frau lief direkt auf sie zu und wich erst im letzten Moment aus.
    »Frech«, sagte Villani.
    Cashin blieb stehen, sah nach oben. »Das Possum ist tot«, sagte er.
    »Wie bitte?«
    Cashin zeigte in einen Baum. Villani sah zuerst gar nichts, dann ein Knäuel in einer Astgabel. »Woher weißt du das?«
    »Schwanz«, sagte Cashin. »Das ist ein toter Schwanz.«
    »Woher weiß man, dass ein Schwanz tot ist?«, sagte Villani. »Könnte ein schlagender Schwanz sein.«
    »Nein«, sagte Cashin. »Tot.« Er ging weiter, mit großen Schritten.
    Villani holte ihn ein. »Joe«, sagte er, »komm zurück in die Zivilisation, oder bewirb dich bei dem Scheißamt für Parks und Artenschutz. Dann kannst du Kinder auf Naturspaziergänge mitnehmen.«
    »Wie wird das denn so?«, sagte Cashin. »Mit Dance als Vorgesetztem?«
    »Mich überrascht nichts, was Dance macht«, sagte Villani. »Rein gar nichts.«
    Sie kamen zu der Avenue. Villani betrachtete die Hochhäuser, die in den Himmel aufragten, in deren gläsernen Wangen der Himmel sich spiegelte. Er war unten entlanggegangen, zu ihren harten, schmutzigen Füßen, ein Farmerjunge in der großen Stadt.

Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel
»Truth« bei The Text Publishing Company, Melbourne.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    I. Auflage
    Copyright © 2009 by Peter Temple
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011
    beim C. Bertelsmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
     
     
    eISBN 978-3-641-06681-9
     
     
    www.cbertelsmann.de
    www.randomhouse.de