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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition)
Autoren: Susanne Gavénis
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waren. Die Worte verloren ihre Konturen, wurden unverständlich, doch letztlich brauchte es keine Silben, um den Zauber zu wirken. Elfische Magie war allein eine Frage des Willens; Formeln, Beschwörungen und Worte dienten allein dazu, den Willen auf das gewünschte Ziel zu konzentrieren.
    Sein Ziel war einfach und sein Wille war stark, stärker als die verschreckte, ängstliche Seele des Hains. Ogaire spürte sogleich, wie sie sich ihm beugte. In kaltem Triumph riss er den Lebensstrang vom Körper seines Sohnes und verband ihn mit seinem eigenen.
    Die beiden Stränge flossen ineinander, verschmolzen zu einem breiten, machtvollen Strom, zu einer dicken, pulsierenden Arterie aus Licht, so strahlend und hell, als sei die Sonne selbst durch die stählerne Kraft seines Willens vom Himmel herabgezwungen und in eine neue Form gegossen worden. Gleichzeitig spürte er, wie frisches Leben berauschend wie süßer Wein in ihn schoss – Leben, das eigentlich seinem Sohn gehört hatte.
    Ogaire ließ den Säugling los. Das Kind atmete längst nicht mehr. Ohne das helle Band, das es mit dem Herzen des Hains verband, war es in Sekundenbruchteilen gestorben, nun verwelkte der leblose Körper wie eine Blume in der Wüstensonne, wurde schwarz, zerfiel zu einem Häufchen flockiger Asche, die lautlos zu Boden rieselte.
    Das Herz des Waldes zuckte wild, als sich die Asche gestohlenen Lebens wie Gift in das reine Licht des Ursprungs ätzte. Ein vielstimmiger Schrei erhob sich über den Hain. Sylphen, Dryaden, Blütenfeen, selbst die Elfen krümmten sich hilflos unter dem Ansturm animalischer Pein, und für einen Moment flackerte das Leben selbst so schwächlich wie eine Kerze, die auf einem einsamen Grabhügel dem eisigen Nordwind zu trotzen versucht.
    Auf diesen Augenblick hatte Ogaire gewartet. Erneut fokussierte er seinen Willen, und ein weiterer Zauber, anders als der erste und doch ebenso machtvoll, begann sich um seine hochaufgerichtete Gestalt zu entfalten. Er spürte, wie er über sein Gesicht, über seine Arme und Beine rann, ihn umhüllte wie eine schützende Haut, während ringsumher die Bewohner des Waldes noch immer vor Schmerz und Entsetzen zuckten, ein jeder von ihnen dem Tode nahe.
    Doch er wollte sie nicht töten – noch nicht. Das hätte seinem Ziel eher geschadet als gedient. Allein deshalb gestattete er ihnen weiterzuleben.
    Mit einer beiläufigen Bewegung fegte er die Asche aus dem Licht. Wie Sonnenschein, der plötzlich hinter einer schwarzen Wolke hervorbricht, verstärkte sich das weiße Glühen, das durch den grausamen Mord matt und stumpf geworden war, versuchte verzweifelt, das Gift fortzuspülen und die Wunde zu schließen, die er ins lebendige Gewebe des Waldes gerissen hatte. Ogaire wusste, dass der Kampf vergeblich sein würde.
    Das Herz des Waldes war zu rein, zu makellos und unverdorben, um eine derartige Schändung anders als mit innerer Erstarrung und ohnmächtigem Leiden beantworten zu können. Die Fäulnis, die sein obszönes Ritual hinterlassen hatte, würde weiterwuchern, wie eine stinkende Kloake durch die silbernen Nabelschnüre sickern und ein Leichentuch aus Tod und Verwesung über den Hain breiten – ein Leichentuch, das mit jedem Jahr, das verstrich, dicker und schwerer werden würde, bis auch der letzte Funke Leben, der noch in den verdorrten Leibern glomm, zu grauer Asche geworden war.
    Der pumpende Herzschlag der Quelle selbst würde dafür sorgen, dass der Keim der Verdammnis zu jedem Baum und jedem Strauch, zu jeder Dryade, Blütenfee und jedem Elfen getragen wurde. Die Dunkelheit würde ihre Seelen verschlingen, Stück für Stück, würde die Flamme des Lebens in ihnen ersticken, lange bevor sie tatsächlich gestorben waren, und der einst so strahlende Hain würde zu einem kalten, düsteren Ort werden, einem Ort der Trauer und der Bitterkeit, wo Gesang und Tanz nur noch Gespenster in den staubigen Hallen der Erinnerung sein würden und die Gräber der Toten anklagend zu einem grauen, gleichgültigen Himmel emporstarrten.
    Ogaire konnte sehen, wie es begann. Schon wurde das Licht der Quelle wieder schwächer, verwandelte sich trotziges Aufbegehren in Resignation und Hoffnungslosigkeit, als die Kräfte der Natur hilflos vor der Saat des Bösen kapitulierten. Graue Schlieren mischten sich in das strahlende Weiß, Wirbel aus Fäulnis und Verwesung, die dem Elfenhain auf ewig sein düsteres Mal aufdrücken würden.
    Mit einem letzten zufriedenen Blick auf die Abscheulichkeit, die er
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