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Wachtmeister Studer

Wachtmeister Studer

Titel: Wachtmeister Studer
Autoren: Friedrich Glauser
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Bern, aber etwas hatte sich an ihr geändert. Oder, dachte Studer, bin ich auf einmal hellhörig geworden? Das Fieber? –
    Er stand im Gang der Wohnung. Die Küchentüre stand offen. Es roch nach Suurchabis und Speck. Studer wurde es übel. Er hatte seit gestern Mittag keinen Bissen gegessen. Sein Magen hatte Generalstreik proklamiert. Mußte man noch lange in diesem Gang stehen?
    Aus der Küche trat eine Frau. Sie war klein und mager und ihre Haare waren weiß wie Flieder. Ja, wie Flieder. Sie hatte graue Augen, die sehr still blickten. Es war wohl nicht immer einfach die Frau des Gemeindepräsidenten Aeschbacher zu sein.
    »Meine Frau«, sagte Aeschbacher. Und: »Wachtmeister Studer.«
    Ein leichtes Erstaunen in den grauen Augen. Dann wechselte der Ausdruck, wurde ängstlich.
    »Es ist doch nichts Böses passiert?« fragte sie leise.
    »Nein, nein«, sagte Aeschbacher beruhigend. Dabei legte er seine große dicke Hand auf die schmale Schulter seiner Frau, und die Bewegung war so zart, daß es Studer plötzlich vorkam, als kenne er jetzt den Gemeindepräsidenten viel besser als früher. Es war im Leben eben immer ganz anders, als man meinte. Ein Mensch war nicht nur ein brutaler Kerl, er konnte scheinbar auch anders…
    Ein großes Zimmer, wahrscheinlich als Rauchsalon gedacht. Ein paar Bilder an der Wand, Studer kannte sich in der Malerei nicht aus, aber die Bilder schienen ihm schön. Große Reproduktionen, farbig, Sonnenblumen, eine südfranzösische Landschaft, ein paar Radierungen. Die Tapete war grau, auf dem Boden lag ein weißer Teppich, der mit einem schwarzroten Muster durchsetzt war.
    »Meine Frau hat das eingerichtet«, sagte Aeschbacher. »Sitzet ab, Wachtmeister. Was trinket Ihr?«
    »Was Ihr wollt«, antwortete Studer, »nur nicht Himbeersirup oder Bier.«
    »Kognak? Ja? Ihr seht nicht gut aus, Wachtmeister. Wo fehlt's? Sollt Euch meine Frau einen Grog machen? Ich glaub Ihr trinkt Grog gerne?«
    Eine unangenehme Situation. Warum war dieser Aeschbacher so höflich? Was steckte dahinter?
    Der Gemeindepräsident ging hinaus, nachdem er Studer einen Stumpen angeboten hatte. Es war ein guter Zehner-Stumpen, aber er schmeckte wie verbrannter Kautschuk. Studer zog mit Todesverachtung.
    Aeschbacher kam zurück. Er trug drei Flaschen: Kognak, Gin, Whisky. Hinter ihm kam seine Frau. Sie stellte ein Tablett auf den Tisch: Zucker, Zitronenscheiben, eine Kanne mit heißem Wasser, zwei Gläser.
    »Wir müssen unsern Wachtmeister kurieren«, sagte Aeschbacher und lächelte mit gesträubtem Katerschnurrbart, er hat sich erkältet. Und ein erkälteter Fahnder kann nur schwer eine Verhaftung vornehmen; nicht wahr, Wachtmeister?«
    Und Aeschbacher klopfte Studer aufs Knie. Studer wollte sich die Familiaritäten verbitten, er sah auf – da traf ihn ein Blick des Gemeindepräsidenten. Eine Bitte lag darin.
    Studer verstand. Aeschbacher wußte. Er bat für seine Frau. »Gut, meinetwegen«, dachte Studer. Und er lachte.
    »Also, auf Wiedersehen, Herr Wachtmeister!« sagte Frau Aeschbacher. Sie hielt die Klinke in der Hand und lächelte. Es war ein mühsames Lächeln. Und Studer verstand plötzlich, daß die beiden da versuchten, sich Theater vorzuspielen. Beide wußten, was los war, aber sie wollten es einander nicht merken lassen.
    Eine merkwürdige Ehe, die Ehe des Gemeindepräsidenten Aeschbacher…
    Die Türe wurde leise geschlossen. Die beiden Männer blieben allein.
    Aeschbacher tat Zucker auf den Boden des einen Glases, füllte es zur Hälfte mit heißem Wasser, rührte um, dann goß er aus jeder der drei Flaschen ein ordentliches Quantum nach: Kognak, Gin, Whisky. Studer sah ihm mit weitaufgesperrten Augen zu.
    Und als Aeschbacher ihm das Glas präsentierte, fragte er, ein wenig ängstlich:
    »Ist das für mich?«
    »Ausgezeichnet, Wachtmeister«, pries der Präsident seine Mischung, »wenn ich erkältet bin, nehm' ich nichts anderes. Und wenn Ihr es nicht vertragen mögt, so macht Euch meine Frau später einen Kaffee.«
    »Auf Eure Verantwortung«, sagte Studer und trank das Glas in einem Zug leer. Dunkel fühlte er, die Sache hier konnte man nüchtern zu keinem guten Ende bringen. »Aber Ihr müßt mir's nachmachen.«
    »Sowieso«, sagte Aeschbacher und stellte dasselbe Gemisch noch einmal her.
    Eine sanfte Wärme kroch über Studers Körper. Langsam, ganz langsam hob sich der dunkle Vorhang. Es war vielleicht alles gar nicht so schrecklich, gar nicht so kompliziert, wie er es sich vorgestellt hatte. Aeschbacher
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