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Wachtmeister Studer

Wachtmeister Studer

Titel: Wachtmeister Studer
Autoren: Friedrich Glauser
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mikroskopiert«, sagte eine tiefe Stimme. Es war Nacht. Irgendwo brannte ein grünes Licht. Studer versuchte verzweifelt, sich zu erinnern, wo er die Stimme schon einmal gehört hatte.
    »Pikrin…« flüsterte Studer. Er hörte ein Lachen.
    »Der verdammte Fahnder, nie kann er Ruh' geben. Passen Sie auf, Schwester. Wie gesagt, alle Stunden Coramin, alle drei Stunden Transpulmin, verstanden? Gott sei Dank, ist er noch ein fester Kerl. Es ist kein Spaß, wenn man zwei Frakturen hat und dazu noch…«
    Weiter hörte Studer nichts. Es war doch einmal ein schwarzer Vorhang dagewesen, jetzt aber senkte sich ein roter über ihn, es rauschte, Glocken läuteten. Der Whisky war scharf. Das gab Durst. Wie hatte doch der See ausgesehen? Eine weite Ebene grau, grau, kalt und feucht…
    Dann war wieder einmal Sonne da und ein ganz bekanntes Geräusch. Studer lauschte. Es klickte… klickte. Was war das? Früher hatte das Geräusch ihn immer verrückt gemacht, er kannte es gut. Was war es nur? Natürlich! Stricknadeln! Er rief leise: »Hedy!«
    »Ja?«
    Ein Schatten zwischen ihm und der Sonne.
    »Grüß di«, sagte Studer und blinzelte mit den Augen.
    »Salü!« sagte Frau Studer, als ob es die natürlichste Sache von der Welt wäre.
    – Was denn eigentlich mit ihm los sei? fragte Studer. – Nüt Apartigs, meinte die Frau. Fieber, Brustfellentzündung, Oberarm gebrochen, Schlüsselbeinfraktur. Er solle froh sein, daß er noch nicht tot sei.
    Sie tat dergleichen, als ob sie ärgerlich sei. Aber hin und wieder preßte sie die Lippen zusammen.
    »Aebe, jooo«, sagte Studer und schlief wieder ein.
    Das dritte Mal ging es schon ganz gut. Da war der Punkt, der stechende Punkt in der Brust verschwunden. Aber der rechte Arm war noch schwer. Studer trank eine Tasse Bouillon und schlief wieder ein.
    Das vierte Mal wachte er auf, weil ein Heidenkrach vor der Zimmertür stattfand. Eine ärgerliche Stimme verlangte Einlaß, eine andere Stimme (war das nicht der Dr. Neuenschwander?) wurde boshaft und fluchte. Es war alles so unerträglich laut.
    »Die Leute sollen still sein!« flüsterte Studer.
    Und wirklich schwiegen sie bald darauf.
    Und dann kam endlich das große Erwachen. Es war morgens, kühl, das Fenster mußte gerade geöffnet worden sein. Das Zimmer war klein, die Wände mit grüner Ölfarbe gestrichen. Geranien blühten auf dem Fensterbrett.
    Eine dicke Schwester war daran, das Zimmer zu kehren.
    »Schwester«, sagte Studer und seine Stimme war fest, »ich hab Hunger.«
    »So, so«, sagte die Schwester nur, kam näher, beugte sich über Studer. »Geht's besser?«
    »Wo bin ich?« fragte Studer und begann zu lachen. So fragten doch immer die Helden in den Romanen von… von… wie hieß die alte Trucke nur, die immer Romane schrieb? Felicitas? Ja, Felicitas…
    »Gemeindespital Gerzenstein«, sagte die Schwester. Irgendwo spielte Musik.
    »Was ist das?« fragte Studer.
    »Hafenmusik – Hamburg«, sagte die Schwester.
    »Gerzenstein und die Lautsprecher«, murmelte Studer. Und dann gab es Milch und Weggli und Anken und Konfitüre. Studer bekam Lust nach einer Brissago. Aber als er diesen Wunsch äußerte, kam er bei der Schwester bös an.
    Und dann kam ein Nachmittag, an dem er allein im Zimmer lag. Seine Frau war nach Bern zurückgefahren und hatte versprochen, ihn am Ende der Woche holen zu kommen.
    Da kam die Schwester herein, eine Dame (sie sagte ›eine Dame‹) wolle den Wachtmeister sprechen. Studer nickte.
    Die Haare der Dame waren weiß wie… wie… Flieder.
    Studer wußte, daß Aeschbacher im See ertrunken war. Ein Unglücksfall, war ihm gesagt worden. Studer hatte genickt.
    Die Dame setzte sich an Studers Bett, die Schwester ging hinaus. Die Dame schwieg.
    »Bonjour Madame«, sagte Studer mit einem hilflosen Versuch, zu scherzen. Die Dame nickte.
    Schweigen. Eine Hummel strich summend durchs Zimmer. Es mußte wohl Ende Juni sein.
    »Es war meine Schuld«, sagte Studer leise. »Ich hab ihn nach Ihnen gefragt, Madame, und da hat er geweint. Die Tränen sind ihm über die Wangen gelaufen. Ja. Und dann hab ich ihn noch gefragt, was Sie gemeint hätten, so, zu der ganzen Sache. Dann hat er mich noch gewarnt. Ich habe gerade Zeit gehabt, aus dem Wagen zu springen. Ich mein' er ist dann über die Mauer… Glauben Sie nicht, es ist besser so?«
    »Ja«, sagte die Dame. Sie weinte nicht. Sie hatte die Hand auf Studers Arm gelegt. Eine sehr leichte Hand.
    »Ich sage nichts, Madame«, sprach Studer ganz leise.
    »Danke, Herr
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