Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
VT06 - Erstarrte Zeit

VT06 - Erstarrte Zeit

Titel: VT06 - Erstarrte Zeit
Autoren: Jo Zybell
Vom Netzwerk:
herumzuwandeln begann, bekam van der Groot es mit der Angst zu tun: Er stellte bei sämtlichen Schläfern die lebenserhaltenden Maßnahmen ein. Kein Wasser mehr, keine Erhaltungsdosis, keine Nahrung, nichts. Er wollte nicht mit fast dreitausend Gespenstern unter demselben Dach leben.
    Sollten sie doch sterben, diese Scheintoten! Besser, als wenn sie irgendwann anfingen, Amok zu laufen wie einst Lupo, sein erstes Versuchskaninchen.
    ***
    Chronik einer langen Nacht, 23. März 2022
    Ein Jahr und länger habe ich versucht, das Verhängnis abzuwenden. Vergeblich. Sie sind nicht gestorben, aber sie leben auch nicht richtig. Jetzt umgibt mich ein Heer von lebenden Mumien. Ich würde gern sterben, aber ich kann nicht. Die Bergmannvariante erhält mich am Leben, und meine zwölf Assistenten ebenfalls.
    Ich wünschte, ich wäre nie auf die Idee verfallen, mit ITH Geld zu verdienen!
    Den Grund für den plötzlichen Zerfall der Hirnzellkerne habe ich inzwischen gefunden, eine Möglichkeit, ihn zu stoppen habe ich auch entwickelt – doch es ist zu spät: Bei Maren und zwei Dutzend anderen Gespenstern ist der Versuch fehlgeschlagen, den Zerfallsprozess aufzuhalten. Mein Gegenmittel schlägt nicht an.
    Ich frage mich allerdings, warum die Hirnzellen nicht endgültig zugrunde gehen und die Mumien endlich richtig sterben. Die Antwort kenne ich nicht.
    Maren sitzt in ihrer Schlafkammer im Labor, wäscht Reagenzgläser und Instrumente, und wenn sie fertig ist, fängt sie von vorn an.
    Der großen Masse meiner Scheintoten habe ich befohlen, die Arbeit am Tunnel ins alte Kupferbergwerk wieder aufzunehmen. Irgendwie muss ich diese Gespenster ja beschäftigen. Sie sehen übrigens verheerend aus; wie verrottete Vampire.
    Und meine zwölf Mitarbeiter? Ich habe ihnen vorsichtshalber das Gegenmittel gespritzt. Leider ist es noch nicht vollständig ausgereift. Ein wenig habe ich das Gefühl, dass ihre intellektuelle Leistungsfähigkeit nachlässt. Ich hoffe, ich täusche mich. Wenn sie das Gegenmittel gut vertragen, werde ich es ebenfalls einnehmen, das ist klar. Ich bin schließlich der wichtigste Mensch hier unten. Was wird aus all diesen Gespenstern und Hilfsbedürftigen, wenn ich nicht mehr funktioniere?
    Wenigstens meine Wurmzucht macht Fortschritte. Ich habe die Zuchtwürmer mit menschlichen Genen und Hirnzellen optimiert. Außerdem bekommen sie Wachstumshormone. Die Tiere sind inzwischen groß wie Hängebauchschweine. Und sie vermehren sich prächtig. Das müssen sie auch, denn die Zombies, die mich umgeben, haben Hunger.
    ***
    12. August 2091
    Er schlurfte und schaukelte vor ihnen her über den Hauptgang. Eine Stunde und länger hatten Knox und Carlo auf den halbmumifizierten Mann – oder war es doch eine Frau? – eingeredet, bis er endlich gehorchte. Jetzt führte er sie zu der Kammer, in der er die Dose gefunden hatte, die Carlos in der Hand hielt: eine Konserve mit Erbsen.
    Genau genommen hatten sie nicht auf die Mumie eingeredet, sondern sie mit ein paar Halbsätzen und einzelnen Worten traktiert. Das Sprachgefühl war ihnen genauso abhanden gekommen wie das Zeitgefühl. Auch sich selbst spürten sie kaum noch.
    Sie bewegten sich schon fast so torkelnd wie der Scheintote vor ihnen. Der schleppte sich über den Gang, als müsste er vor jedem Schritt überlegen, welchen Fuß er als nächstes vor welchen anderen Fuß zu setzen hatte.
    Etwa dreihundert mumienartige Gestalten säumten den Hauptgang. Sie lehnten reglos gegen die Wand, sie kauerten oder lagen reglos am Boden. Manche standen auch reglos mitten im Gang. Staubfäden und Spinnennetze verbanden ihre Körper häufig miteinander und mit der Wand. Staubfäden und Spinnennetze hingen auch von der Decke auf manche der scheintoten Körper herab.
    Hin und wieder schob Carlo einen von ihnen achtlos zur Seite. Manche fielen dann um wie morsche Bäume oder instabile Regale. Wo sie aufschlugen erhoben sich Staubwolken.
    Vor zwanzig oder dreißig Jahren hatten Knox und die anderen Tiefschlafassistenten den Reinigungsdienst aufgegeben. Und Dokk hatte es aufgegeben, seine Assistenten dazu anzuhalten. Das Leben war auch ohne Putzen anstrengend genug. Wenn es nach Knox gegangen wäre, hätte man auch in der Schlafkammer auf bessere Zeiten warten können.
    Die Mumie blieb plötzlich einfach stehen und rührte sich nicht mehr. »Weiter!«, krächzte Carlo und stieß sie an. Sie fiel zu Boden und blieb liegen.
    Knox blickte nach rechts. Eine nur angelehnte Tür. Durch den Staub führten Spuren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher