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VT06 - Erstarrte Zeit

VT06 - Erstarrte Zeit

Titel: VT06 - Erstarrte Zeit
Autoren: Jo Zybell
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wilden Musiker dann vor dem Bunkertor auf. Charles Poronyoma hatte sie abgewiesen. Und heute, ein paar Stunden vor dem Einschlag, hatte die unzivilisierte Bande zusammen mit vielen anderen Männern und Frauen den Bunker angegriffen. Die Präsidentengarde hatte den Angriff zurückgeschlagen und einige Angreifer festgenommen, die in den Bunker eingedrungen waren.
    Wie auch immer: Knox und Eusebia saßen nur durch die Fürsprache des Professors hier unten im Bunker. Um seines wichtigsten Untertans willen hatte der Präsident und selbsternannte Kaiser von einer Bestrafung des Paares abgesehen.
    Van der Groot fürchtete, dass sich dies bald ändern würde. Irgendjemand hatte den Angreifern ein paar Stunden zuvor das Sicherheitstor zum Bunkergelände und das Schott der Kuppel über dem Eingang zum Bunker geöffnet. Van der Groot wusste auch, wer: Eusebia. Und von den Chefs des Sicherheitsdienstes Bodo und Fred wusste er auch, dass die gefangenen Eindringlinge den Verhörspezialisten des Kaisers nicht standgehalten hatten.
    Der Kaiser hob die Rechte – Applaus, Hochrufe, Gebete und Getuschel verstummten nach und nach. »Bringt sie rein, die Banditen!«, schrie Präsident Charles Poronyoma alias Kaiser Karl der Große.
    Wieder öffnete sich eine Gasse, diesmal vor einem kleineren Gang. Drei Männer und zwei Frauen wurden herein geschleppt. Sie waren gefesselt, stolperten mehr, als dass sie gingen und wirkten maßlos erschöpft. Ihre Gesichter waren blutig und zerschlagen.
    Einer der Männer war ein schwarzer Junge von höchstens sechzehn Jahren. Der Bursche hieß Joshua und gehörte in den Zeiten vor dem Kometen einer Rebellenarmee in Kenia an. Van der Groot kannte seinen Namen von Karls Sicherheitsleuten.
    Zwei weitere Gefangene kannte er ebenfalls nur dem Namen nach: den Engländer Carlo, Frontmann der Firegods, und die Holländerin Vera van Dam. Deren Mann Peter van Dam dagegen kannte der Professor relativ gut: Er hatte ein paar Wochen lang mit ihm in derselben Gefängniszelle auf den Tod und Schlimmeres gewartet. Noch näher kannte van der Groot die zweite Frau der Gruppe: Maren Verbeek.
    Länger als ein Jahr war es her, dass er mit ihr geschlafen hatte. In einem Hotelzimmer in Nairobi war das gewesen. Als sie wenige Stunden danach in Daressalam landeten, lief van der Groot mit ihrer Handtasche der Drogenfahndung in die Arme. Die Beamten fanden darin fast ein Kilo Haschisch.
    Maren sah es von weitem und floh – während van der Groot zehn schreckliche Monate lang in einem Kerker verschwand.
    Die Folterknechte stießen die fünf Gefangenen vor das Podest des selbsternannten Kaisers. »An der Spitze einer Bande aus Strauchdieben und Mördern haben diese gefährlichen Elemente versucht, unser Bunkerreich zu erobern!«, verkündete der Präsident. »Es ist ihnen nicht gelungen! Hört das Urteil über sie! Zum Zeichen der Abschreckung für alle, die unser Heiliges Bunkerreich gefährden wollen, werden sie eines qualvollen Todes sterben! Sie sollen in Salzsäure aufgelöst werden! Und mit ihnen die Hexe, die ihnen Tor und Schott öffnete!«
    Charles Poronyoma alias Karl der Große hob die Rechte. Es wurde still in der Gemeinschaftshalle. Die Menge hielte den Atem an. In diesem Augenblick empfand van der Groot mit jeder Faser seines Körpers, was er bisher nur mit dem Verstand begriffen hatte: Die Zukunft unter dem größenwahnsinnigen Despoten würde die Hölle werden.
    Der Kaiser aber senkte den Arm und deutete auf Eusebia: »Packt die blonde Hexe und führt sie mit den anderen Banditen ab! In drei Tagen sollen sie sterben!« Er deutete auf die Menge. »Und ihr alle dürft zuschauen!«
    ***
    Ein weltgeschichtlicher Augenblick. Irgendwann wird die Menschheit in prachtvoller Blüte wiederauferstehen. Und dann werden literarische Werke aus der postapokalyptischen Zeit gefragt sein. Hier ist eines; vielleicht das einzige, das die soeben angebrochene lange Nacht der Menschheitsgeschichte überstehen wird.
    So begann Jan van der Groot seine Chronik. Irgendwann in der Adventszeit 2011 hatte er beschlossen, sie zu schreiben. Von einem Buchbinder in Saudi-Arabien hatte er sich tausendzweihundert Pergamentbögen in vier Kladden aus widerstandsfähigem Kunstleder binden lassen. Er schrieb mit Füllfederhalter und schwarzer Tinte. Darauf, dass seine Datenträger und die Festplatte seines teuren Laborrechners die lange Nacht der Menschheitsgeschichte überstehen würden, wollte er sich lieber nicht verlassen.
    Van der Groot richtete
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