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VT06 - Erstarrte Zeit

VT06 - Erstarrte Zeit

Titel: VT06 - Erstarrte Zeit
Autoren: Jo Zybell
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Lupo mit einem Defibrillator getötet hatte.
    Er ging weiter. In der vierten Zelle hatte sich der britische Musiker auf seiner Pritsche ausgestreckt. Carlo war ein kräftig gebauter Mann Ende zwanzig. Sein Anzug war aus abgewetztem Leder. Darüber trug er einen tiefroten Umhang, auf den in verblichenem Gelb und Orange eine Teufelsfratze gedruckt war. Sein kantiger und mächtiger Quadratschädel war kahl und rot geschminkt. Die vollen Lippen hatte er sich schwarz angemalt.
    Van der Groots Assistent Knox war ein Anhänger des Musikers und seiner Band Firegods. Angeblich pflegten sie einen Musikstil mit der Bezeichnung Hell Metal. Der Professor hatte nur eine vage Vorstellung von der Bedeutung dieses Namens. Aus Knox’ Erzählungen wusste er allerdings, dass der junge Engländer ziemlich rabiat werden konnte; ein brauchbarer Bursche eigentlich.
    Carlo drehte den Kopf, taxierte den Professor kurz und spuckte aus. Danach drehte er sich zur Wand.
    Schließlich die fünfte Zelle. Maren Verbeek stürzte ans Gitter. »Jan! Dass ich dich hier wieder treffe! Hol mich hier raus, bitte! Diese Bestie ist imstande und tötet uns tatsächlich mit…« Sie sprach das Wort nicht aus, sondern verzog nur angewidert das Gesicht.
    »Verlass dich darauf, dass er dazu imstande ist«, sagte van der Groot leise und mit drohendem Unterton.
    »O Gott!« Sie schlug die Hände an die Wangen. »Was für ein Wahnsinniger!« Sie griff durch das Gitter und fasste seinen Arm. »Bitte, hilf mir, Jan! Du hast doch die Macht dazu, oder etwa nicht?«
    »O doch.« Van der Groot schüttelte ihre Hand ab und lächelte kalt. »Ich habe die Macht dazu, sicher. Und wir beide, wir haben noch eine Rechnung offen. Oder hast du das etwa vergessen?« Maren riss Mund und Augen auf, doch kein Wort kam über ihre Lippen.
    Van der Groot wandte sich ab und sprach die beiden Wächter auf Englisch an. »Der Kaiser hat mir die Gefangenen überlassen. Sie sind ab sofort gut zu behandeln! Verstanden?«
    Die Wächter nickten. Van der Groot ging zur Tür. »Bitte, Jan!«, rief Maren Verbeek ihm hinterher. »Was hätte ich denn tun sollen, damals auf dem Flughafen?! Ich wollte dich im Gefängnis besuchen, doch sie haben mich nicht…!«
    Die Tür fiel hinter ihm zu und schnitt ihren Satz ab. Während er zurück ins Labor ging, dachte der Professor an die harten Gefängnismonate. Reines Glück, dass er sie überlebt hatte. Maren hatte ihm das eingebrockt; sie allein.
    Andererseits: Hätte Maren ihn nicht mit dem Haschisch aus der Gepäckhalle geschickt, wäre er nicht im Gefängnis gelandet. Und wäre er nicht im Gefängnis gelandet, hätte er nicht den Präsidenten kennen gelernt. Wo hätte er dann wohl den Kometeneinschlag überlebt? Hätte er ihn überhaupt überlebt?
    Im Labor drückte er die Tür hinter sich zu. Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an. »Poronyoma ist bereit, mir fünf der Gefangenen zu überlassen, um die Bergmannvariante an ihnen zu testen. Einen aber will er unbedingt in Salzsäure baden. Zur Abschreckung, wie er sagt. Ich denke, wir geben ihm, was er will. Und jetzt hört mir gut zu…«
    ***
    Kilimandscharo, 10. Februar 2012
    Es gab Schlägereien; um Konserven, um einen Platz am Feuer, um frisches Wasser, oder weil einer die Frau des anderen begehrlich anstarrte. Percival beobachtete es und begriff, dass harte Zeiten bevorstanden, sehr harte Zeiten.
    »Ist das nicht furchtbar?«, flüsterte Leila. Sie wich nicht von seiner Seite. »Sie benehmen sich wie die Tiere.«
    »Es sind Tiere«, sagte der ehemalige Priester und korrigierte sich sofort: »Wir sind Tiere.«
    »Es ist nichts mehr übrig von ihnen«, sagte Leila. »Sie mögen Lehrer oder Bauern oder Ingenieure gewesen sein, oder Schauspieler oder Journalisten – es ist nichts mehr übrig davon.« Sie bohrte ihr Gesicht in seine Achsel. »Sie sind nur noch Tiere.«
    Percival antwortete nicht. Was Leila einfach so aussprach, schien die Antwort auf die Frage zu sein, die ihn seit zwei Tagen beschäftigte, wenn er die verzweifelten und hoffnungslosen Menschen im Höhlendorf beobachtete. Seine Frage lautete: Was blieb übrig vom Kulturwesen Mensch, wenn eine Katastrophe ihm die Grundlagen seiner Zivilisation raubte?
    Die Antwort, um die er sich drückte und die Leila im Grunde aussprach, lautete: eine Bestie.
    »Zwei Tage erst sind vorbei, Percival.« Dagobert ging neben ihm in die Hocke. »Und schon gehen sie aufeinander los. Was soll erst in zwanzig Tagen werden? Oder gar in zweihundert?«
    »Die
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