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Vorstandssitzung im Paradies

Vorstandssitzung im Paradies

Titel: Vorstandssitzung im Paradies
Autoren: Arto Paasilinna
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Bucht umschlossen. Das Ufer bestand aus Sandstrand, und dahinter wucherte dichter Dschungel, dessen vorderste Bäume sich über den Strand beugten, wie auf dem Junibild im Pirelli-Kalender.
    Kein Zweifel, ich war in der heißen Zone des Ozeans gestrandet. Ich trug noch die Rettungsweste, sie war über und über mit feinem, feuchtem Sand bedeckt. Ich beschloss, sie abzulegen, denn ich schwitzte darunter. Ich konnte mich gut erinnern, wie schwierig es gewesen war, die Weste im Flugzeug anzulegen, aber jetzt stellte ich fest, dass es noch schwieriger war, sie loszuwerden. Die Stoffbänder waren vom Meerwasser hart geworden und scheuerten, und die Schnallen waren vom Sand verklebt. Meine Brust schmerzte, während ich mich mit der Weste abplagte. Ich kam mir vor wie ein kleiner Junge, der versucht, die verknoteten Bänder seiner Skistiefel zu lösen.
    Endlich hatte ich es geschafft und war völlig außer Atem. Ich hätte gern geraucht, aber die Zigaretten in meiner Tasche waren zerbröselt, und die Streichhölzer waren durchfeuchtet und unbrauchbar. Großer Durst quälte mich.
    Ich wanderte am Strand entlang, aus der Stellung der Sonne zu urteilen, in westliche Richtung. Ich ließ die Bucht hinter mir, und es folgte eine zweite, ähnliche, dahinter kam eine dritte, und dann eine weitere. Den anderen Passagieren der Trident begegnete ich nicht. Die Wellen hatten den Sand am Ufer geglättet, es waren keinerlei menschliche Spuren zu sehen. Ich ging unter der heißen Sonne immer weiter. Nach einer Weile zog ich die Sandalen aus und trug sie an den Riemen in der Hand, in der anderen baumelte die Rettungsweste. Ihre Bänder hinterließen eine Spur im Sand, es sah aus, als wäre eine Maus neben mir gegangen.
    Ich muss ziemlich kläglich ausgesehen haben, wie ich da entlangtrottete, matt und ausgelaugt, nach einer Zigarette lechzend, von Hunger und Durst geplagt. Von Robinson-Romantik konnte jedenfalls keine Rede sein. Zum Glück war niemand da, der dumme Bemerkungen über meinen Zustand hätte machen können.
    Allerlei Gedanken gingen mir bei meiner Strandwanderung durch den Kopf. Ich fluchte innerlich über das Scheitern meiner schönen Reportagereise, die ich jahrelang geplant und für die ich monatelang eisern gespart hatte – alles umsonst. Ich dachte an meine Familie in Europa, in Finnland. Dort war wohl jetzt gerade Nacht, und erst wenn der Tag anbrach, würde sie erfahren, dass irgendwo vor Melanesien eine von der UNO gecharterte Maschine ins Meer gestürzt war, und mit ihr etwa fünfzig Passagiere: Krankenschwestern, Ärzte, Waldarbeiter und ein Journalist. Die Familie würde bestimmt um mich und mein Schicksal trauern.
    Aber ob sie wirklich ernsthaft trauern würde? Ich hielt mir vor Augen, dass ich daheim in Finnland immerhin ein ziemlich schwieriger Mensch gewesen war, vielleicht würden die Verwandten und engsten Angehörigen geradezu vor Erleichterung aufseufzen. Dann machte ich eine gedankliche Kehrtwendung und begann mich innerlich an der Seelenqual meiner Familie zu weiden: Tränen, Trauer, entsetzte Worte und Vermutungen über mein Schicksal… und was würde die Presse wohl über den Fall berichten? Diese Gedanken gefielen mir ungemein, und ich bemerkte, dass ich wieder in eine neue Bucht gekommen war.
    Auch hier traf ich niemanden an.
    Ich wurde müde. Ich ging landeinwärts bis an den Rand des Dschungels und setzte mich. Mein Hintern wurde nass, also stand ich wieder auf. Ich musste lange suchen, ehe ich eine halbwegs trockene Stelle fand, und fluchte innerlich über das Gelände. Bei uns im Norden gab es im Wald wenigstens Grashöcker, hier dagegen nur Kuhlen und Wasser.
    Ja, genau…Wasser! Unter den Bäumen waren Vertiefungen, und darin stand in der Tat Wasser. Ich schöpfte ein wenig mit der hohlen Hand und war drauf und dran, die ziemlich heiße Flüssigkeit zu trinken, doch dann hielt ich inne. Womöglich war diese Brühe verdreckt, giftig? Wie, zum Teufel, sollte ich das wissen? Diese Gegenden sind voller Überraschungen, und ich erinnerte mich, irgendwo gelesen zu haben, dass gerade das Wasser am Äquator besonders giftig ist. Ich ließ das Wasser durch die Finger rinnen und betrachtete meine feuchten Hände. Meine Kehle war trocken, meine Hände glänzten in der Sonne.
    Ich überlegte, ob ich es wagen konnte, die Hände abzulecken. Selbst das erschien mir tollkühn.
    Aber dann machte ich mich über meine eigene Ängstlichkeit lustig und leckte meine feuchten Hände ab, ohne mich um mögliche
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