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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde
Autoren: P. D. James
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Alex einen Job bekommt, den auszufüllen er als einziger fähig ist, allerdings zum Preis des Lebens einer Frau – würdest du dann zögern? Das war die Wahl, vor der ich stand. Weich mir bitte nicht aus, Meg. Ich bin auch nicht ausgewichen.«
    »Aber Mord – wie kann das eine Lösung sein? Das ist noch nie eine gewesen.«
    Mit unvermuteter Heftigkeit antwortete Alice: »O doch, das kann er, und das ist er. Du hast doch Geschichte studiert, nicht wahr? Dann muß dir das bekannt sein.«
    Meg fühlte sich zutiefst erschöpft vor Müdigkeit und Schmerz. Sie wollte dieses Gespräch beenden. Aber das ging nicht. Es blieb noch viel zuviel zu sagen. »Was wirst du tun?« erkundigte sie sich.
    »Das hängt von dir ab.«
    Aus all dem Entsetzen und der Fassungslosigkeit schöpfte Meg Mut. Und mehr als Mut: Autorität. »O nein«, sagte sie, »das tut es nicht. Dies ist eine Verantwortung, um die ich nicht gebeten habe und die ich ablehne.«
    »Aber du kannst ihr nicht ausweichen. Du weißt jetzt, was ich weiß. Ruf Chief Inspector Rikkards an. Jetzt gleich. Du kannst dieses Telephon benutzen.« Als Meg jedoch keine Anstalten machte, ihrer Aufforderung zu folgen, fuhr sie fort: »Du wirst doch mir gegenüber nicht E. M. Forster spielen. Wenn ich die Wahl hätte, mein Land zu verraten oder meinen Freund, dann hoffe ich, die Courage zu haben, mein Land zu verraten.«
    »Das ist eine dieser cleveren Bemerkungen, die, wenn man sie analysiert, entweder gar nichts bedeuten oder etwas sehr Dummes«, entgegnete Meg.
    »Vergiß nicht, Meg – was immer du tust, ins Leben zurückholen kannst du sie damit nicht«, warnte Alice. »Du hast eine Reihe von Alternativen, aber diese gehört nicht dazu. Es ist ungeheuer befriedigend für das menschliche Ego, die Wahrheit aufzudecken; frag Adam Dalgliesh. Und es ist äußerst befriedigend für die menschliche Eitelkeit, sich einzubilden, man könne die Unschuldigen rächen, die Vergangenheit wiederauferstehen lassen, das Recht verteidigen. Aber das kann man nicht. Die Toten bleiben tot. Alles, was man tun kann, ist, den Lebenden im Namen des Gesetzes oder der Vergeltung oder Rache Schmerz zufügen. Wenn dir das Genugtuung bereitet, tu’s, aber bilde dir nicht ein, daß du damit viel erreichst. Wie immer du dich auch entscheidest – ich weiß, daß du deine Meinung nicht ändern wirst. Ich kann dir glauben, und ich kann dir vertrauen.«
    Als Meg Alice ins Gesicht sah, erkannte sie, daß ihre Miene ernst war, ironisch, herausfordernd, aber nicht bittend.
    »Brauchst du Zeit, um es dir gründlich zu überlegen?« fragte Alice.
    »Nein. Mehr Zeit würde nichts ändern. Ich weiß jetzt schon, was ich zu tun habe. Ich muß es melden. Aber es wäre mir lieber, wenn du es selbst tätest.«
    »Dann laß mir bis morgen Zeit. Sobald ich gestanden habe, wird es keine Privatsphäre mehr geben. Es gibt Dinge hier, die ich zuvor noch erledigen muß. Die Druckfahnen, andere Angelegenheiten. Und ich hätte gern noch zwölf Stunden Freiheit. Wenn du mir die gewähren könntest, wäre ich dir sehr dankbar. Mehr zu verlangen, habe ich nicht das Recht; darum allerdings bitte ich dich.«
    »Aber«, wandte Meg ein, »wenn du ein Geständnis ablegst, wirst du ihnen ein Motiv nennen müssen, einen Grund, irgend etwas, das sie dir glauben können.«
    »Oh, die werden mir schon glauben. Eifersucht, Haß, der Groll einer alten Jungfer auf eine Frau, die so aussah wie die Robarts, die so lebte wie sie. Ich werde sagen, daß sie ihn heiraten, ihn mir nach allem, was ich für ihn getan habe, wegnehmen wollte. Sie werden in mir eine neurotische Frau in den Wechseljahren sehen, die vorübergehend durchgedreht ist. Übertriebene Geschwisterliebe. Unterdrückte Sexualität. So reden die Männer über Frauen wie mich. Das ist die Art Motiv, die Männern wie Rikkards logisch erscheint. Und die werde ich ihnen servieren.«
    »Selbst wenn das bedeutet, daß du nach Broadmoor kommst? Könntest du das ertragen, Alice?«
    »Nun ja, das wäre eine Möglichkeit, nicht wahr? Entweder das oder ins Gefängnis. Es handelt sich um einen sorgfältig geplanten Mord. Auch der geschickteste Verteidiger könnte es unmöglich nach einer spontanen, unvorbereiteten Tat aussehen lassen. Und was das Essen betrifft, so bezweifle ich, daß es einen Unterschied zwischen Broadmoor und dem Gefängnis gibt.«
    Meg hatte das Gefühl, daß überhaupt nichts jemals wieder sicher sein würde. Nicht nur ihre innere Welt war in Scherben gegangen, sondern
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