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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde
Autoren: P. D. James
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sie wie eine Besessene gegen mich.«
    »Und dein Bruder, wußte er von diesem Besuch?«
    »Er weiß nichts. Ich habe es ihm damals nicht gesagt, und ich habe es ihm bisher nicht gesagt. Aber er hat mir erklärt, was er vorhatte: ihr die Ehe versprechen und dann, wenn er den Job sicher hatte, das Versprechen brechen. Es wäre eine Katastrophe geworden. Er hat nie begriffen, mit was für einer Frau er es zu tun hatte, ihre Leidenschaft, ihre Verzweiflung. Sie war das einzige Kind eines reichen Mannes, gleichzeitig über die Maßen verwöhnt und vernachlässigt; ihr Leben lang hat sie versucht, mit ihrem Vater zu konkurrieren, und gelernt, daß alles, was man will, einem rechtmäßig zusteht, wenn man nur den Mut hat, darum zu kämpfen und es sich zu nehmen. Und diesen Mut hatte sie. Richtig besessen war sie von ihm, von dem Verlangen nach ihm, vor allem aber von dem Verlangen nach einem Kind. Er schulde ihr ein Kind, behauptete sie. Ob er vielleicht annehme, sie sei bezähmbar wie einer seiner Reaktoren, und er könne einfach das Äquivalent seiner Brennstäbe aus Boronstahl in diese Turbulenzen hinabsenken und die Kräfte beherrschen, die er damit entfesselte? Als ich sie an jenem Nachmittag verließ, wußte ich, daß mir keine Wahl blieb. Sonntag war die letzte Chance. Er hatte verabredet, auf dem Heimweg vom Kraftwerk in Thyme Cottage vorzusprechen. Es war sein Glück, daß ich sie zuerst erwischte.
    Das Schlimmste war vermutlich das Warten auf seine Rückkehr an jenem Abend. Im Kraftwerk anzurufen, wagte ich nicht. Schließlich konnte ich nicht wissen, ob er allein in seinem Büro oder im Computerraum sein würde, und bis dahin hatte ich ihn noch nie angerufen, um ihn zu fragen, wann er nach Hause komme. Fast drei Stunden lang saß ich da und wartete. Ich nahm an, daß Alex die Leiche finden würde. Wenn er feststellte, daß sie nicht im Haus war, würde er natürlich am Strand nach ihr suchen. Er würde die Leiche finden, von seinem Wagen aus die Polizei alarmieren und anschließend zu Hause anrufen, um mir Bescheid zu sagen. Als er das nicht tat, begann ich mir vorzustellen, daß sie gar nicht tot sei, daß ich es irgendwie verpatzt hatte. Ich stellte mir vor, wie er sich verzweifelt um sie bemühte, Mund-zu-Mund-Beatmung versuchte, wie sie langsam die Augen aufschlug. Ich schaltete die Lichter aus und ging ins Wohnzimmer, um die Straße im Auge zu behalten. Aber schließlich kam dann kein Krankenwagen, sondern die Polizeiautos, die ewigen Begleiter des Mordes. Nur Alex kam noch immer nicht nach Hause.«
    »Und als er dann schließlich gekommen ist?« fragte Meg.
    »Haben wir kaum miteinander gesprochen. Ich war schon im Bett; mir war klar, daß ich genau das tun mußte, was ich normalerweise getan hätte, also nicht hier unten auf ihn warten. Er kam zu mir ins Zimmer, um mir mitzuteilen, daß Hilary tot sei, und wie sie gestorben war. Ich fragte: ›Der Whistler?‹ Und er antwortete: ›Die Polizei meint, nein. Der Whistler war tot, bevor sie umgebracht wurde.‹ Dann ließ er mich allein. Ich glaube, keiner von uns hätte es ertragen, länger zusammenzusein, solange die Atmosphäre von unseren unausgesprochenen Gedanken belastet war. Aber ich habe getan, was ich tun mußte, und es hat sich gelohnt. Er hat den Job. Und den werden sie ihm nicht wieder nehmen – nicht nachdem er darin bestätigt wurde. Sie können ihn nicht feuern, weil seine Schwester eine Mörderin ist.«
    »Und wenn sie erfahren, warum du es getan hast?«
    »Das werden sie nicht. Das wissen nur zwei Personen, und wenn ich dir nicht vertrauen würde, hätte ich’s dir nicht erzählt. Oder, auf einem weniger erhabenen Niveau, ich bezweifle, daß sie dir ohne Bestätigung durch einen anderen Zeugen glauben würden; und sowohl Toby Gledhill als auch Hilary Robarts, die einzigen, die diese Bestätigung liefern könnten, sind tot.« Nach einer längeren Pause ergänzte sie: »Du hättest für Martin das gleiche getan.«
    »O nein! Niemals!«
    »Nicht so wie ich. Daß du körperliche Gewalt anwenden würdest, kann ich mir nicht vorstellen. Aber als er ertrank – wenn du da am Flußufer gestanden hättest und es in deiner Macht gelegen hätte, zu wählen, wer sterben und wer leben soll, hättest du etwa gezögert?«
    »Nein, natürlich nicht. Aber das wäre etwas ganz anderes gewesen. Ich hätte keinen Tod durch Ertrinken geplant, hätte ihn nicht mal gewollt.«
    »Oder wenn man dir erklärte, daß Millionen Menschen sicherer leben würden, wenn
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