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Vorn

Titel: Vorn
Autoren: Andreas Bernard
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Bemerkung nahe, man würde ihren Ausführungen
     voraussichtlich weniger Platz einräumen als einer Geschichte über Pausenbrote. Und wenn im
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gelegentlich prominente Gastautoren auftauchten, dann gab es keine exklusive Ankündigung auf dem Titelblatt oder im Inhaltsverzeichnis,
     sondern es stand einfach nur der Name unter dem Artikel, so als wären die bekannten Moderatorinnen und Musiker Bestandteil
     der Redaktion. Während die Welt der Prominenten im
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also wie etwas nicht weiter Erwähnenswertes behandelt wurde, gab es in jeder Ausgabe seitenlange Abhandlungen darüber, warum
     man auch einmal alleine ins Kino gehen sollte oder weshalb der Sonntag ein besonders anstrengender Tag sei. Artikel über scheinbare
     Nebensächlichkeiten machten den wesentlichen Bestandteil der Zeitschrift aus.
     
    |43| Tobias’ Identifikation mit dem Magazin nahm nach den ersten Artikeln jedenfalls rasch zu, und er begann seinen ganzen Freundes-
     und Bekanntenkreis nach weiteren Themen zu durchforsten. Das bisherige Leben verwandelte sich mehr und mehr in potenzielles
     Material für das Heft. Ein alter Bekannter von Emily und ihm aus New York, der mit geringem Budget einen erfolgreichen Dokumentarfilm
     gedreht hatte; eine Kollegin in der Unterkunft, die um das Bleiberecht einer Familie kämpfte; seine Bekanntschaft mit dem
     Fußballer Didi Hamann, mit dem er als Kind zusammen im selben Verein gespielt hatte: Alles konnte nun zu Stoff werden, zumindest
     für einen kurzen Text für Carla, aber vielleicht auch für ein Interview oder sogar eine Titelgeschichte. Seine Wahrnehmung,
     seine Erinnerungen teilten sich jetzt hauptsächlich danach ein, in welche Rubrik im
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sie fließen könnten. Tobias hielt seinen Vorsatz, in jeder Ausgabe mit einem Artikel vorzukommen, in den Monaten darauf beinahe
     ein, und als kurz vor Weihnachten die erste Nummer des neuen Jahres vorproduziert wurde, hatte er sogar mehrere Artikel im
     selben Heft, zum ersten Mal auch einen auf den Kulturseiten. Robert, der Tobias anfangs noch mit Reserviertheit begegnet war
     und seine Artikelvorschläge als nicht überzeugend abgelehnt hatte, war beeindruckt, dass Tobias nach einem Foo-Fighters-Konzert
     in München Dave Grohl treffen konnte, der seit dem Tod Kurt Cobains offiziell nicht mehr mit Journalisten sprach. Tobias kannte
     ihn aber noch flüchtig aus der Zeit bei der Band Scream, lange vor seinem Einstieg bei Nirvana, und es war kein Problem gewesen,
     ihn nach dem Auftritt um ein Interview zu bitten. Als |44| Tobias kurz vor Weihnachten noch einmal in die Redaktion kam, lag das erste Heft des neuen Jahres schon überall auf den Tischen
     herum. Er nahm die Ausgabe fast als seine eigene wahr und steckte ein paar Exemplare in seine Tasche. Auf dem Heimweg in der
     U-Bahn blätterte er das Heft durch; seine Aufregung verstärkte sich dadurch, dass es diese
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Nummer eigentlich noch gar nicht geben durfte, dass das Heft erst in ungefähr zwei Wochen in der Zeitung stecken würde. Tobias
     bemerkte, wie ein hübsches Mädchen auf der Sitzbank gegenüber das Cover des Magazins musterte; er glaubte, ein Staunen in
     ihrem Blick zu erkennen, die Verwunderung darüber, welche Ausgabe das sein könne. Er hätte sie beinahe angesprochen, um ihr
     das Geheimnis zu verraten.
     
    In seinem Leben gab es jetzt diese Neuheit, die ihn in dauerhafte Hochstimmung versetzte. Wenn er mit Emily auf Feste im Undone-Umfeld
     ging oder sich mit den alten Universitätsleuten traf, verlieh ihm die Gewissheit, regelmäßiger
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Autor zu sein, fast ein erhabenes Grundgefühl. In Partyunterhaltungen mit Mädchen, die er nicht kannte, wartete er schon immer
     auf diesen Moment – wenn irgendwann die übliche »Und was machst du so?«-Frage fiel, und er diesen einen Satz sagen konnte,
     so beiläufig ausgesprochen wie möglich: »Ich arbeite beim
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.« Er wusste, dass dieser Satz im Gespräch meistens wie ein Trumpf wirkte, wie ein Stimulanzmittel. »Ach nee, echt, du schreibst
     für die
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? Was machst du denn da genau?«, fragte das Mädchen, der Blick sofort offener, interessierter.
     
    |45| Eine Bemerkung von Marius, dem Sänger von Undone, kam ihm in dieser Zeit oft in den Sinn. Er sah seine alte Schulfreundin
     Susanne Buchner noch manchmal im Nachtleben, und als Tobias ihn damals vor seinem ersten Anruf in der Redaktion fragte, ob
     er ihr einen Gruß ausrichten dürfe, als Einstieg in das Gespräch, sagte er nur: »Klar, von mir aus. Aber die wird
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