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Vorn

Titel: Vorn
Autoren: Andreas Bernard
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waren beide klein und schmal, hatten dieselben scharf geschnittenen Gesichtszüge,
     denselben Haarschnitt (mittellang, glatt, mit Seitenscheitel) und dieselbe konkurrenzlose Unerbittlichkeit, was ihre Urteile
     über Popsongs, Filme, Mode und vor allem die Menschen in ihrer Umgebung |40| anging. Auch ihr Schreibstil im
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ähnelte sich; in pointierten, wenn nötig ein wenig hämischen Artikeln schrieben sie über Bands, Models und Schauspieler, wobei
     Tobias die Texte von Anne immer eine Spur schlagkräftiger fand als die von Carla. Er hatte einen solchen Typ Mädchen bislang
     nirgendwo getroffen; die beiden waren keineswegs älter als seine Freundinnen aus dem Studium oder die Mädchen, die er über
     die ganzen Münchner Bands kannte, doch sie strahlten eine Unnahbarkeit, eine Abgebrühtheit aus, die Tobias anfangs ziemlich
     einschüchterte. Niemand konnte Carla und Anne etwas vormachen, das sah man ihnen sofort an. In die Redaktion waren die beiden
     nicht auf den üblichen Wegen gekommen, über die Journalistenschule oder ein Praktikum. Anne hatte einen exklusiven Studiengang
     abgebrochen, klassisches Ballett oder etwas in der Art, und war dann im Nachtleben irgendwann den
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Leuten begegnet. Über Carlas Vergangenheit wusste Tobias noch weniger. Sie war ein paar Monate zuvor offenbar mit ihrem Freund,
     einem bekannten jungen Journalisten, von Hamburg nach München gezogen und hatte sofort eine Stelle beim
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bekommen. Beide waren also ohne offizielle Ausbildung zu der Zeitschrift gelangt; es schien Tobias so, als hätten sie ihre
     Posten eher einem natürlichen Talent in allen Stilfragen zu verdanken, das auch die Gabe, gut zu schreiben, einschloss. Für
     den Ruf des Magazins, für seine unbestrittene Autorität in Fragen der Mode und der Popkultur waren Carla und Anne jedenfalls
     zentral, und das umso mehr, weil sie nicht nur
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Mitarbeiterinnen
waren, sondern längst auch bekannte Größen des Münchner Nachtlebens.
     
    |41| Eine ebenso hervorstechende Figur des Magazins war Robert Veith, der Pop-Redakteur. Er identifizierte sich von allen am meisten
     mit dem Heft, begriff es fast als pädagogischen Auftrag, die Leser für die seiner Ansicht nach richtigen Bands oder Filme
     zu begeistern. Er war den anderen Mitarbeitern einige Jahre voraus, eher im Alter des Redaktionsleiters und des Schlussredakteurs,
     doch man sah ihm das absolut nicht an; er wirkte in seinem Enthusiasmus für das Heft, in seinen Fußballhemden und der schmalen
     Statur wie immerwährende 24. Sein genaues Geburtsdatum war ohnehin ein Geheimnis, Robert machte sich in Gesprächen oder in
     Interviews, die andere Magazine mit ihm führten, auch gerne jünger. Nur weil jemand aus der Redaktion einmal seinen Personalausweis
     auf dem Schreibtisch liegen gesehen hatte, wussten die meisten, dass er schon um die dreißig war. Robert gab – deutlicher
     als der meist im Hintergrund arbeitende Redaktionsleiter – die Richtung des Heftes vor, seinen allgemeinen Standpunkt. Nicht
     alle im
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betrieben die Arbeit am Magazin mit so viel Leidenschaft; einige sahen das Ganze eher als guten Einstiegsjob nach dem Ende
     der Journalistenschule an. Robert jedoch war davon beseelt, das wahre Pop-Verständnis in die Welt zu tragen, das
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gegen andere Jugend- und Musikmagazine oder auch gegen die biedere Pop-Berichterstattung der eigenen Tageszeitung in Position
     zu bringen. Jeder Artikel auf den Kulturseiten war von einer klaren Haltung geprägt: gegen das Pathos und die schwitzende
     Ernsthaftigkeit vieler amerikanischen Gitarrenbands etwa, über die sich Robert immer wieder lustig machte. Dagegen zelebrierte
     er seine Verehrung für Britpop und vor |42| allem die Band Oasis, die fast jede Woche, zum Teil unter abenteuerlichen Vorwänden, an irgendeiner Stelle des Hefts wieder
     zum Thema gemacht wurde.
     
    Dass das
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als Instanz in Fragen des Pop-Geschmacks galt, war das Eine. Noch wichtiger für seine große Beliebtheit war aber jene besondere
     Nähe des Hefts zum alltäglichen Leben der Leser. Stefan, ein alter Freund von Tobias aus dem Team des Flüchtlingsheims, hatte
     einmal den Satz gesagt, am
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gefalle ihm, dass es das Große klein und das Kleine groß mache. Und genau darum ging es auch. Artikel über Stars etwa wurden
     auf eine Weise geschrieben, als berichte man ganz nebenbei über alte Bekannte. Ein in London lebender
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Mitarbeiter brachte seinen Interviewpartnern den Charakter des Hefts immer mit der
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