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Vorhang

Vorhang

Titel: Vorhang
Autoren: Agatha Christie
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wobei ich mir wie so oft bei der Begegnung mit jungen Leuten etwas lächerlich vorkam. »Ich bin angekommen.«
    »Sehr gescheit von dir, mein Lieber«, erwiderte Judith.
    »Ich beschreibe ihm gerade das Essen hier«, sagte Poirot.
    »Ist es sehr schlecht?«, fragte Judith.
    »Du solltest es nicht nötig haben, diese Frage zu stellen, mein Kind. Denkst du denn an nichts anderes als an Reagenzgläser und Mikroskope? Dein Mittelfinger ist voll Methylenblau. Es ist nicht gut für deinen Mann, wenn du dich für seinen Magen nicht interessierst.«
    »Ich glaube nicht, dass ich je einen Mann haben werde.«
    »Sicher wirst du einen Mann haben. Wozu hat der bon Dieu dich sonst erschaffen?«
    »Für so manches, hoffe ich«, antwortete Judith.
    »Vor allem für le mariage.«
    »Na gut«, sagte Judith. »Du suchst mir einen netten Mann, und ich werde mich gewissenhaft um seinen Magen kümmern.«
    »Sie macht sich über mich lustig«, seufzte Poirot. »Eines Tages wird sie einsehen, dass alte Männer weise sind.«
    Es klopfte abermals an die Tür, und Dr. Franklin trat ein. Er war ein großer, hagerer Mann von fünfunddreißig Jahren, mit einem energischen Kinn, rötlichem Haar und hellen blauen Augen. Ich habe nie jemanden gekannt, der so linkisch war wie er; ständig stieß er geistesabwesend gegen irgendwelche Gegenstände.
    Er lief gegen den Wandschirm neben Poirots Stuhl und murmelte mit einer halben Kopfdrehung automatisch: »Verzeihung.«
    Ich wollte lachen, doch Judith blieb, wie ich bemerkte, vollkommen ernst. Vermutlich war sie an derartige Vorfälle gewöhnt.
    »Sie erinnern sich an meinen Vater?«, fragte Judith.
    Dr. Franklin fuhr nervös zusammen, hob die Brauen und sah mich an, streckte mir dann die Hand entgegen und sagte unbeholfen: »Natürlich, natürlich! Wie geht es Ihnen? Ich hörte, dass Sie kommen würden.« Er wandte sich Judith zu. »Was ich sagen wollte, glauben Sie, dass wir uns umziehen müssen? Sonst könnten wir nach dem Abendessen noch ein bisschen weiterarbeiten. Es wäre schön, wenn wir einige Präparate fertig machen könnten – «
    »Nein«, erwiderte Judith. »Ich möchte mich mit meinem Vater unterhalten.«
    »O ja, natürlich.« Er lächelte plötzlich, jungenhaft und um Entschuldigung bittend. »Es tut mir leid – ich steigere mich manchmal so in eine Sache hinein. Es ist unverzeihlich – macht mich ganz egoistisch. Bitte, vergeben Sie mir!«
    Die Uhr schlug, und Franklin schaute hastig auf.
    »Guter Gott, ist es schon so spät? Ich werde Ärger bekommen. Ich habe Barbara versprochen, ihr vor dem Essen vorzulesen.«
    Er lächelte uns zu und eilte hinaus, wobei er gegen den Türpfosten stieß.
    »Wie geht es Mrs Franklin?«, fragte ich.
    »Wie immer, eher schlechter«, antwortete Judith.
    »Es ist ein trauriges Schicksal, so krank zu sein«, sagte ich.
    »Für einen Arzt ist es besonders schlimm«, meinte Judith. »Ärzte schätzen gesunde Menschen.«
    »Wie hart ihr jungen Leute seid!«, rief ich aus.
    »Ich habe nur eine Tatsache festgestellt«, antwortete Judith kühl.
    »Trotzdem eilt der gute Doktor an ihr Bett, um ihr vorzulesen«, bemerkte Poirot.
    »Sehr dumm von ihm«, sagte Judith. »Sie kann sich ohne Weiteres von ihrer Pflegerin vorlesen lassen, wenn sie das möchte. Ich persönlich hasse den Gedanken, mir von jemand vorlesen zu lassen.«
    »Nun ja, die Geschmäcker sind verschieden«, warf ich ein.
    »Sie ist eine furchtbar dumme Frau«, meinte Judith.
    »In diesem Punkt, mon enfant«, sagte Poirot, »stimme ich nicht mit dir überein.«
    »Sie liest nur die billigsten Romane. Sie hat kein Interesse an seiner Arbeit. Sie hält sich nicht auf dem Laufenden über das Tagesgeschehen. Mit jedem, der ihr zuhört, redet sie nur über ihre Gesundheit.«
    »Trotzdem bin ich der Ansicht«, sagte Poirot, »dass sie ihre grauen Zellen in einer Weise benutzt, die dir, mein Kind, vollkommen fremd ist.«
    »Sie ist sehr feminin«, meinte Judith. »Sie schnurrt und gurrt. Ich nehme an, dass solche Frauen nach deinem Geschmack sind, Onkel Hercule.«
    »Ganz und gar nicht«, sagte ich. »Ihm gefallen große, üppige Russinnen.«
    »So verraten Sie mich also, Hastings? Dein Vater, Judith, hatte immer eine Schwäche für kastanienbraunes Haar. Das hat ihn mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht.«
    Judith lächelte nachsichtig. »Ihr seid vielleicht ein komisches Paar«, meinte sie.
    Sie ging hinaus, und ich erhob mich.
    »Ich muss auspacken, und vielleicht kann ich vor dem Abendessen noch
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