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Vorbei: Drei Erzählungen (German Edition)

Vorbei: Drei Erzählungen (German Edition)

Titel: Vorbei: Drei Erzählungen (German Edition)
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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dauerte neun Minuten. Bob klatschte Beifall. Dr.   Clark winkte ab.
    Er spielte weiter. Dieses Stück dauerte sieben Minuten. Jetzt klatschten alle.
    Frau Cunningham sagte: «So friedlich. Der Ozean liegt hinter uns.»
    «Der eine», sagte Baxter.
    «Wer ist Domenico?» fragte Frau Cunningham.
    Baxter sagte es ihr.
    «Ich wage mich nur an die langsamen Sätze», sagte Dr.   Clark. Er spielte, und es kamen Matrosen, Milizsoldaten und Schiffsjungen hinzu, die sich hinhockten oder einfach stehenblieben.
    Nach dem Beifall sagte Bob: «Ob sich der Lehrer der portugiesischen Infantin Maria Barbara von Braganza je vorgestellt hat, seine Essercizi könnten an der brasilianischen Küste von holländischen Seeleuten gehört werden?»
    «Warum nicht», sagte Dr.   Clark. «Brasilien gehörte den Portugiesen.»
    Hammerton fragte Dr.   Clark: «Warum gerade Scarlatti?»
    «Er wurde nach Lissabon gerufen. Ein Jahr später erreichte die ‹Arend› Brasilien.»
     
    Auf der Höhe von 40 Grad Süd kündigte sich ein Sturm an; die drei Matrosen mußten Dr.   Clarks Cembalo wieder unter Deck bringen. Frau Cunningham sagte zu Dr.   Clark: «Ihr Spiel entschädigt mich.»
    Es wurde ein Orkan, der vier Stunden lang tobte. Rundum stand die See so hoch, daß man glauben konnte, die ‹Arend› werde im nächsten Moment rettungslos von Wasser überspült. Wirklich ruhig wurde das Wetter erst nach etlichen Tagen.
    Kapitän Koster fragte Bob: «Wie geht es Frau Cunningham?»
    «Nach dem Sturm in der Spanischen See hatte sie gemeint, Sturm mache ihr nichts aus.»
    «Aber ich habe sie schon seit Tagen nicht gesehen.»
     
    Bob machte sich auf, nach Frau Cunningham zu sehen. Er klopfte an ihre Tür, und sie rief: «Herein, wenn es kein Baxter ist!»
    Frau Cunningham lag angekleidet in ihrer Koje und sagte: «Ist es auch nicht mein Lou, so ist es immerhin sein Cousin.»
    «Wie geht es Ihnen.»
    «Die Nächte hindurch habe ich wachgelegen. Keine tröstende Hand geleitet mich über die schwankende See in diesem elenden Alltagsgrau.»
    «Warum haben Sie mich nicht rufen lassen.»
    «Sie sollten wissen, daß das nicht meine Art ist.»
    «Ich lasse Ihnen sofort etwas zu essen bringen.»
    «Und etwas zu trinken. – Was meinen Sie, Bob. Ob Louis es wollen kann, daß ich solche Strapazen auf mich nehme, um ihn wiederzusehen?»
    «Glauben Sie etwa, mir fällt die Reise leicht?»
    «Es sieht so aus. Sie und Baxter, zwei Spieler …»
    «Nein. Sie scheinen mir nach fast zwanzig Jahren immer noch übelzunehmen, daß es Louis in der Malerkolonie von Barbizon sehr gefallen hat.»
    «In die Sie ihn mit leichten Mädchen, Tabak und Alkohol gelockt haben. Louis’ Vater gefiel es gar nicht, daß Louis sich Ihnen angeschlossen hatte.»
    «Sie tun Louis unrecht. Sie glauben doch nicht wirklich, er sei auf billige Weise zu verlocken. Ihm gefiel der Geist der Künstlergesellschaft: die Natürlichkeit, die selbstverständliche Höflichkeit. Ihm gefiel das vorzügliche Essen. Und er mochte die ländliche Umgebung. Er unternahm ausgedehnte Wanderungen.»
    «Sie haben ihn dort mit dieser Frau zusammengebracht.»
    «Mein liebe Frau Cunningham. Ich hole Ihnen jetzt etwas zu essen und zu trinken. Was möchten Sie?»
    «Tee und Zwieback.»
     
    Während Frau Cunningham Tee trank und Zwieback aß, schwieg Bob.
    Frau Cunningham bekannte zwischen kleinen Schlucken Tee, sie habe seit zwei Tagen nichts zu sich genommen. «Zwieback und Tee sind die einzigen zivilisierten Nahrungsmittel auf diesem Schiff», sagte sie. «Aber damit kann man keine Weltreise bestehen. Ich fürchte, ich muß morgen wieder den üblichen Kaffernfraß hinunterwürgen.»
    Bob sagte endlich: «Diese Frau, wie Sie zu sagen beliebten, hat Louis nicht in Barbizon kennengelernt, sondern in Grez-sur-Loing, wo wir ein Jahr später in einer anderen Künstlerkolonie lebten. Louis hat sich in diese Frau verliebt, und sie verliebte sich in ihn. Ich stand abseits, ich habe zu ihr gesagt: ‹Ich bin ein vulgärer Prolet, aber Louis ist ein Gentleman.›»
    «Damit hatten Sie zweifellos recht – ich meine, daß Louis ein Gentleman ist», sagte Frau Cunningham. «Und seitdem ist der Gentleman dieser Frau hinterhergerannt.»
    «Ich muß doch bitten», sagte Bob. «Die beiden sind Mann und Frau, sie leben miteinander, und wir werden sie besuchen.»
    «Ich besuche Louis», sagte Frau Cunningham. «Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit er nach dem Tod seines Vaters mit seiner Mutter und seiner amerikanischen Madam
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