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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition)
Autoren: Jesmyn Ward
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sie sind triefnass. Früher bestand ich aus spitzen Ellbogen, Oberschenkeln, die so gerade wie Kiefernstämme waren, und einem Bauch so flach wie eine Autobahn, und durch meine nassen Klamotten sieht man jetzt den Unterschied. Daddy hat die Rundung an der Taille gesehen, den verräterisch vorstehenden Bauch. Daddy hat die Frucht gesehen. Ich rudere wild mit den Armen, falle aber trotzdem mit dem Eimer, den quiekenden Welpen, nach hinten. Und in der Sekunde, nachdem er mich weggestoßen hat, streckt Daddy seine gesunde Hand aus, hält sich mit der schlimmen an dem Ast fest, auf dem er hockt, und sein Blick ist so weit, so traurig und so verletzt, wie ich ihn nicht mehr gesehen habe, seit er Junior an Randall und mich übergeben hat und sagte,
Eure Mama
– und ich strampele und greife in die Luft, aber der Hurrikan erwischt mich, und ich lande auf dem Rücken im Wasser, die Welpen fliegen aus dem Eimer, öffnen zum ersten Mal die Augen zu Schlitzen und, das schwöre ich, verurteilen mich, während sie aufklatschen.
    »Esch!«, schreit Randall, und Junior schlingt seine Beine noch enger um Randalls Taille, zieht sie fest wie eine Schnürsenkelschleife. Randall packt Juniors Schienbeine, die linealdünnen Waden. Randall kann nicht reinspringen. »Schwimm!«, schreit er.
    Ich trete und schaufele, aber ich kann kaum den Kopf über Wasser halten. Die Flut ist ein offener Mund voller Zähne, der mich verschluckt.
    »Scheiße!«, brüllt Skeetah. Er schaut auf China, die sich ruckartig gegen ihre Schlinge stemmt.
    »Esch!«, schreit Junior, und das Wasser zieht mich seitwärts, weg von dem Fenster, nach draußen in Richtung Hof, auf den Schlund des Pit zu. Ich greife nach dem Welpen neben mir. Esist der gestromte. Er fühlt sich schlaff an, und ich schiebe ihn in mein T-Shirt. Der weiße und der schwarz-weiße sind verschwunden.
    »Scheiße!«, schreit Skeetah. Er packt Chinas Kopf, flüstert ihr etwas ins Ohr, während sie gegen seine Brust trampelt. Sie zeigt die Zähne und wirft sich nach hinten, weg von ihm. Sie windet sich. Ihr Oberkörper ist nicht mehr in der Schlinge, die er für sie gemacht hat. Skeetah packt China am Kopf und zieht, und ihr Körper kommt heraus. Sie zappelt. Sie fliegt von ihm weg und dreht sich in der Luft, um mit dem Bauch zuerst im Wasser zu landen. Dann schwimmt sie schon, kämpft. Skeetah springt.
    Das Wasser gurgelt, und ich schreie. Mein Kopf geht unter, und ich schmecke das Wasser, frisch, kalt und irgendwie salzig, so wie Tränen im Regen schmecken.
Die Babys
, denke ich. Ich strampele extra doll, als würde ich einen Wettlauf bestreiten, und mein Kopf kommt wieder hoch, aber dann drückt die Hand des Hurrikans ihn wieder nach unten, unter Wasser.
Wer wird mich entbinden?
Und der Hurrikan sagt
Schschschschschtttttt
. Er schscht mich durch das Wasser, mit tiefer, gedämpfter Stimme, aber dann spüre ich eine echte Hand, eine menschliche Hand, die sich kalt und hart wie Stacheldraht um mein Bein legt und mich zurück zieht, und dann werde ich nach oben aus dem Wasser gedrückt und von Skeet gehalten, der tritt und strampelt, so gut er kann, und mich und sich notdürftig über Wasser hält. China ist ein weißer Kopf, der in dem erbarmungslosen Wasser kreist, bellend von uns wegtreibt, und Skeetah schaut von ihr zu mir und schreit
Mach schnell! Mach schnell!
zu Randall hinüber, der mit Händen, Schultern und Ellbogen einschlägt, was noch von der Fensterscheibe und dem Holzrahmen übrig war, und dann hindurchhechtet, während Junior wie eine Muschel an ihm klebt, und Skeetah schiebt mich mit einer Hand, die sich anfühlt wie die Schlaufe einer Hundeleine, die zu fest um meinen Arm gewickeltist, durch das Fenster, während er mit der anderen Hand Schwimmbewegungen macht, und er ruft
China, hierher, China
, aber sie ist nirgends zu sehen, und Daddy schwimmt und geht unter und paddelt wie wild auf uns zu, seine schlimme Hand leuchtet wie ein Signal, und dann ist er durchs Fenster, und wir rappeln uns alle auf, greifen nach Wänden, umgefallenen Schränken, Holzstücken, bis Randall sich zur offenen Decke aufrichtet und sich und Junior auf den halb zerstörten Dachboden zieht, wo der Hurrikan an dem eingerissenen Dach herumfummelt, und Skeet mich nach oben durch die Öffnung schiebt, während Randall mir fast das Handgelenk bricht, als er mich hochhievt, und dann stößt sich Skeet von irgendwas ab, das unter den Fluten begraben ist, und kommt durch die Öffnung zu uns nach oben, und Daddy liegt
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