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Vor dem Regen - Roman

Vor dem Regen - Roman

Titel: Vor dem Regen - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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geschwommen. Gott, wie weit wird das gewesen sein? Eine Meile? Mehr wahrscheinlich. Wann war er das letzte Mal am Strand? Er kann sich nicht erinnern. Die alten Sachen, die muss er wieder auf die Reihe kriegen. Angeln. Schwimmen. Nichts Dramatisches, einfach die alten Sachen, die schlichten Sachen.
    Er erreicht den Baum, tastet nach der Schnur. Findet sie und zieht. Die Schnur gibt ein Stück weit nach, mehr nicht. Ein Zweig, denkt Jimmy, ein Zweig, der beim Ziehen nachgibt. Er könnte fester ziehen, aber es ist nur eine Fünf-Kilo-Schnur, und er will sie nicht zerreißen - dann wäre der Köder endgültig beim Teufel.
    Jimmy blickt sich um. Er hat wieder dieses Gefühl, das er hier schon öfters hatte, dass irgendjemand - oder irgendetwas - ihn beobachtet. Er holt tief Luft, füllt seine Lunge und taucht mit offenen Augen. Das Wasser ist überraschend klar, der Baumstamm verliert sich in der Tiefe. Auf dem Weg nach unten brennt die geteerte Lunge - die unzähligen Zigaretten, all das Dope -, doch er taucht weiter an der Schnur entlang. Er zieht noch einmal mit Gewalt. Diesmal gibt die Schnur nach und steigt auf. Eine Anemone, denkt er. Das Gewirr der Fangarme. Aber das kann nicht sein, merkt er, das ist Süßwasser, kein Salzwasser. Es sind Haare. Dann ein Gesicht. Leere Augenhöhlen. Ein Grinsen ohne Lippen. Nackt ihr Körper. Und in ihr, in sie gerammt, ein Messer mit weißem Heft.

2
    27. September
    Auch wenn Detective Dusty Buchanon von der Northern Territory Police Force es nie zugegeben hätte - ein wahrer Top-Ender beklagt sich niemals über den Build-Up, den »Anlauf«, der gehört zum Leben im Territory einfach dazu -, aber in diesem Jahr hatte sie ernsthafte Schwierigkeiten damit. Gestern Nacht hatte sie so gut wie gar nicht geschlafen. Nackt hatte sie auf dem Bett gelegen, Arme und Beine so weit es nur ging von sich gespreizt wie eine Gekreuzigte, unter einer zimmerhohen Daunendecke aus erdrückend schwüler Luft, und hatte dem träge rotierenden Deckenventilator zugesehen, dessen tumbe Beharrlichkeit ihr Respekt abverlangte, was sich von seiner Effektivität leider nicht sagen ließ.
    Dusty liebte ihr hoch oben gelegenes Haus mit seinen Holzböden und Fensterläden, sie liebte die breiten Veranden und das Zinkblechdach. Und wann immer ihre Kollegen über astronomisch hohe Stromkosten jammerten, kam sie sich so was von umweltbewusst vor. In letzter Zeit allerdings beschlich sie immer öfter der Verdacht, eine Klimaanlage wäre vielleicht doch keine so schlechte Investition. Sie hatte natürlich den Pool, in den sie sich zur Abkühlung allein letzte Nacht dreimal gehechtet hatte, doch als sie nun in einem über der Brust geknoteten Sarong auf der Gartenveranda saß und zum Frühstück eine halbe Papaya mit einem Spritzer Limette aß, zog eine Fujitsu-Werbung in der gestrigen Northern Territory News ihren Blick geradezu magisch an. Rein äußerlich war an dem Gerät nichts auszusetzen,
es sah sogar richtig schick aus, und der Preis war durchaus vernünftig, aber was Dusty Bauchschmerzen bereitete, war, dass der ehemalige Kapitän der australischen Cricket-Nationalmannschaft direkt daneben stand. Sie hätte es einfach nicht über sich gebracht, einer solchen Trantüte irgendetwas abzukaufen.
    Sie wandte sich einem Artikel zu, der ihr zuvor schon ins Auge gestochen war. Darin ging es um eine Gruppe von circa dreißig Vietnamveteranen, die dem Blatt zufolge von der Regierung des Northern Territory das Eigentumsrecht an einem Stück Land forderten, auf dem sie bereits seit Jahren während der Trockenzeit campierten. Es sei ihnen, so der Sprecher der Gruppe, Barry O’Loughlin, zur Heimat und »Stätte der Heilung« geworden.
    Das zugehörige Foto zeigte einen älteren Mann mit ergrauenden Schläfen vor einem der charakteristischen Termitenhügel des Northern Territory.
    Dieser spezielle Bau war ganz besonders groß, was Barry O’Loughlin ganz besonders klein und machtlos wirken ließ. Den hätte ich mir nicht zum Sprecher gewählt, überlegte Dusty und löffelte Papayafleisch.
    Dusty war dreiunddreißig und damit zu jung, um sich aus eigener Anschauung an die Rolle Australiens im Vietnamkrieg zu erinnern. In der Schule hatte sie nur wenig darüber erfahren, allerdings hatte sie ihre Schulzeit auch hauptsächlich im Fünfzigmeterbecken zugebracht, wo sie eine immergleiche Bahn nach der anderen geschwommen war, während sie den Rest der Zeit im Halbschlaf in ihrer Schulbank saß und sich von den immergleichen
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