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Vor aller Augen

Titel: Vor aller Augen
Autoren: Patterson James
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Sie sich doch mal um. Es ist eine Hinrichtung.«
    Ich konnte Coulter nicht sehen, aber ich erinnerte mich an ihn. Knapp ein Meter siebzig, Spitzbart, ständig eine schnoddrige Bemerkung auf den Lippen, sehr zäh und knallhart. Alles in allem: ein kleiner Mann mit Komplexen. Dann fing er an, seine Geschichte zu erzählen, seine Seite der Medaille. Unglücklicherweise hatte ich keine Ahnung, was ich von dem halten sollte, was er da ausspuckte. Laut Coulter kassierten Detectives der Polizei in Baltimore große Summen an Bestechungsgeldern aus Drogenkreisen. Selbst wenn er die genaue Zahl nicht kannte, war sie beachtlich hoch. Er hatte die Sache auffliegen lassen. Und als Nächstes war sein Haus von Cops umstellt worden.
    Dann ließ Coulter die Bombe platzen. »Ich habe auch abkassiert. Jemand hat mich beim Büro für Interne Angelegenheiten verpfiffen. Einer meiner Partner.«
    Â»Warum sollte ein Partner das tun?«
    Er lachte. »Weil ich zu raffgierig geworden war. Ich wollte ein größeres Stück vom Kuchen und dachte, ich hätte meine Partner in der Hand. Aber die haben das nicht so gesehen.«
    Â»Wieso glaubten Sie, die Partner in der Hand zu haben?«
    Â»Ich habe ihnen erzählt, ich hätte Kopien der Belege. Wer wem wie viel bezahlt hat. Und das über einige Jahre hinweg.«
    Jetzt kamen wir weiter. »Und haben Sie diese Kopien?«, fragte ich.
    Coulter zögerte. Was sollte das? Entweder er hatte sie oder er hatte sie nicht.
    Â»Möglich, dass ich sie habe«, antwortete er schließlich. »Jedenfalls glauben die anderen das. Und jetzt wollen sie
mich platt machen. Deshalb sind sie heute hergekommen... ich soll dieses Haus nicht lebend verlassen.«
    Angestrengt lauschte ich, ob ich im Haus noch andere Stimmen hörte. Aber ich hörte nur seine. Lebte drinnen noch jemand? Was hatte Coulter seiner Familie angetan? Wie verzweifelt war er?
    Ich blickte Ned Mahoney an und zuckte mit den Schultern. Ich wusste wirklich nicht, ob Coulter die Wahrheit sagte oder ob er nur ein Cop war, der durchgedreht hatte. Mahoney schaute ebenfalls skeptisch drein. Er hatte diesen Mich-darfst-du-nicht-fragen-Blick . Ich musste mir irgendwo anders Rat holen.
    Â»Und was machen wir jetzt?«, fragte ich Coulter.
    Er stieß ein kurzes Lachen aus. »Ich hatte gehofft, Sie hätten eine Idee. Sie sind doch angeblich der Superexperte, richtig?«
    Alle behaupteten das ständig.

8
    Die Situation in Baltimore verbesserte sich während der nächsten Stunden keineswegs. Nein, sie wurde eher schlimmer. Es war unmöglich, die Nachbarn davon abzuhalten, auf die Veranden zu gehen und die Vorgänge zu beobachten. Dann begann die Polizei von Baltimore, die Nachbarn Coulters zu evakuieren, von denen viele Coulters Freunde waren. In der Garrett-Heights-Grundschule in der Nähe hatte man eine Notunterkunft eingerichtet. Das erinnerte jeden daran, dass in Detective
Coulters Haus wahrscheinlich auch Kinder gefangen gehalten wurden. Seine Familie. Mein Gott!
    Ich schaute umher und schüttelte den Kopf, als ich die vielen Polizisten, das SWAT-Team und das Geisel-Befreiungs-Team aus Quantico sah. Gaffer mit hassglühenden Augen drängten sich an den Barrikaden. Einige forderten lautstark, Bullen abzuknallen – irgendwelche Bullen.
    Ich ging langsam hinüber zu den Polizisten, die hinter einem Notarztwagen warteten. Man musste mir nicht erst erklären, dass sie eine Einmischung vom FBI keineswegs schätzten. Ich hatte das damals auch nicht gewollt, als ich bei der Washingtoner Polizei war. Ich sprach Captain Stockton James Sheehan an, mit dem ich bereits kurz nach meinem Eintreffen geredet hatte. »Was meinen Sie? Wohin soll das führen?«
    Â»Hat er eingewilligt, jemanden rauszulassen?«, fragte Sheehan. »Das ist die erste Frage.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Er will absolut nicht über seine Familie reden. Weder bestätigen noch bestreiten, dass sie im Haus sind.«
    Â»Und worüber redet er dann?«, fragte Sheehan.
    Ich teilte ihm das Wesentliche mit, aber nicht alles, was Coulter mir gesagt hatte. Ich ließ weg, dass er geschworen hatte, dass Polizisten aus Baltimore an einem Drogenhandel in großem Stil beteiligt waren und – was noch verheerender war – dass er darüber belastende Unterlagen besaß.
    Stockton Sheehan hörte zu. Dann meinte er: »Entweder lässt er einige Geiseln frei oder wir müssen
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