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Von Traeumen entfuehrt (eShort)

Von Traeumen entfuehrt (eShort)

Titel: Von Traeumen entfuehrt (eShort)
Autoren: Amy Plum
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dass selbst mit Handschuhen nicht ans Malen zu denken war. Deshalb wollten wir uns in eins der Cafés zurückziehen, um dort zu warten, bis wenigstens die Finger wieder aufgetaut waren, damit wir uns endlich wieder an die Arbeit machen konnten. Zusammengenommen reichte unser Geld gerade für zwei Tassen Kaffee. Vermutlich sahen wir beide ziemlich heruntergekommen aus. Dann wiederum – wer sah zu der Zeit schon anders aus?
    Jedenfalls wurden wir auf dem Rückweg zum Bateau von der Polizei aufgegriffen und festgenommen. Uns war bewusst, dass wir auf der Liste potenzieller Anarchisten und Aufrührer standen (was wir nicht waren). Doch dies war keine routinemäßige Festnahme, die Polizisten hielten Juan für einen der Räuber, die die Bank in der Rue Ordener überfallen hatten. Egal wie sehr wir auch beschwörten, unschuldige Künstler zu sein, sie glaubten uns nicht.
    Bis einer von ihnen sagte: »Dann beweisen sie es!« Also schnappte ich mir Stift und Papier und zeichnete eine Cancantänzerin, wie sie im Le Chat Noir hätte auftreten können. Allerdings trug sie nichts, abgesehen von dem typischen Federschmuck auf dem Kopf. Unter derbem Gelächter und viel Schulterklopfen wurden wir dann doch auf freien Fuß gesetzt.
    Aber Vincent hört gar nicht zu. Er springt plötzlich auf und rennt zu ihrem Tisch. Das traurige Mädchen sitzt nicht mehr dort, ich schaue mich um und sehe, wie sie an zwei Frauen vorbei will, die aber erst noch eine Trillion Einkaufstaschen zusammenraffen müssen, damit sie durchkann. Sie hat bloß ihre Tasche vergessen – die hängt mutterseelenallein über der Stuhllehne – und genau auf die hat Vincent es abgesehen. Er kommt damit zurück und kann sich gerade noch setzen, bevor das Mädchen sich entschließt, doch den anderen Weg einzuschlagen, sich umdreht und direkt auf uns zukommt, weil hinter uns auch ein Ausgang liegt.
    »Entschuldige, hast du nicht was vergessen?«, fragt er, als sie keine drei Zentimeter an uns vorbei ist. Sie bleibt stehen und schaut ihn fragend an. »Deine Tasche«, sagt er und hält sie an zwei Fingern hoch. Sie bedankt sich und streckt ihre Hand aus, doch er zieht die Tasche zurück. Und dann folgt so ein alberner Affentanz: Sie versucht, an die Tasche zu kommen, doch er lässt nicht locker, besteht darauf, dass sie ihm ihren Namen verrät, bevor er die Tasche zurückgibt. Eine wirklich klassische Anmache, die er ganz unverfroren von niemand Geringerem als von meiner Wenigkeit abgekupfert hat.
    Natürlich vergeigt er die ganze Sache. Im Bruchteil einer katastrophalen Sekunde fasst sie schwungvoll nach der Tasche, als er gerade nachgibt, so dass sich der gesamte Inhalt auf der Terrasse verteilt. Eine Haarbürste landet auf meinem Fuß. Vincent bückt sich rasch, schnappt sich den Führerschein und studiert ihn, als hielte er die erste Bibel selbst in der Hand.
    Dann klaubt er ihr Buch unter einem der Nachbartische hervor und hält es hoch. » Wer die Nachtigall stört. Auf Englisch!«, sagt er und verfällt dann in fast perfektes Englisch. »Tolles Buch. Hast du mal den Film gesehen … Kate?«
    Ihr Gesichtsausdruck wandelt sich von angepisst zu überrascht. »Woher weißt du, wie ich heiße?«, fragt sie, woraufhin Vincent ihr den Führerschein zeigt. Sie läuft feuerrot an und wagt es nicht einmal mehr, ihn anzusehen, während er sie mit Entschuldigungen überhäuft. Als ich das nicht länger ertrage, mische ich mich ein und rate das Naheliegendste: »Jetzt hör endlich auf, mit deinen Fremdsprachenkenntnissen rumzuprahlen, Vincent. Hilf dem Mädchen auf die Füße und lass sie gehen.«
    Vincent hält ihr eine Hand hin, die sie bewusst ignoriert, kommt allein wieder zum Stehen, klopft sich ab und nimmt die Haarbürste entgegen, die ich ihr hinhalte. Vincent reicht ihr noch das Buch und dann stürmt sie mit einem Blick, in dem eine Mischung aus Demütigung und Abscheu liegt, aus dem Café.
    »Glänzende Leistung, mein Freund«, spotte ich, während wir ihr beide hinterhersehen, als sie die Straße entlangläuft und noch einmal zu uns blickt. Ihr Gesicht ist jetzt sogar noch röter, aber das bemerkt Vincent gar nicht. Er sinkt ganz langsam zurück auf seinen Stuhl.
    »Erde an Vincent, Erde an Vincent, bitte melden«, sage ich und wedle ihm mit der Hand vor dem Gesicht herum.
    Jetzt erwacht er aus seinem Trancezustand und sieht mir tief in die Augen. »Kate Mercier, Amerikanerin, gemeldet in Brooklyn, geboren am 9.   Dezember 1991«, betet er so andächtig herunter,
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