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Von Traeumen entfuehrt (eShort)

Von Traeumen entfuehrt (eShort)

Titel: Von Traeumen entfuehrt (eShort)
Autoren: Amy Plum
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Geisterjunge«, sage ich und höre ihn kichern. Vincent ist gedanklich ganz woanders und wird schneller. Ich folge seinem Blick und sehe, dass das Mädchen losgelaufen ist.
    Wir folgen ihr mit gut fünfzig Meter Abstand. Es herrscht gerade so gut wie kein Verkehr, vor ein Auto kann sie sich also nicht kurzentschlossen werfen und wir wollen ja keine unnötige Aufmerksamkeit erregen. Sie joggt die Rue du Bac hinunter, kreuzt den Boulevard Saint-Germain und bleibt vor einem der prächtigen, alten Apartmenthäuser stehen, die einen kleinen Park umrahmen.
    Während sie die Haustür öffnet, wirft sie schnell einen Blick hinter sich. Vincent und ich senken die Köpfe und gehen weiter, so dass sie unsere Gesichter nicht sehen kann.
    Aber ich habe ihres gesehen. Und ihr Gesichtsausdruck ist mir nur allzu bekannt – es ist mir schon viele Male begegnet, ganz besonders durch die »Arbeit«, der ich nachgehe. Das Mädchen trauert, und zwar massiv.
    Vincent und ich wechseln einen Blick. Ich nicke nach links, nach Hause. Er versteht sofort, was ich meine. Wir laufen bis zur nächsten Kreuzung und dann in östlicher Richtung weiter, auf direktem Wege nach La Maison. Wir können zwar nicht unsere Gedanken lesen, aber wenn man mit jemandem über ein halbes Jahrhundert lang befreundet ist, erkennt man unweigerlich jede Geste. Wir sind wie ein altes Ehepaar. Wörter sind nahezu überflüssig.
    Wir gehen schweigend, halten permanent Ausschau, ob auch alles in Ordnung ist. Weil Ambrose im ganzen Viertel nichts Auffälliges bemerkt, ist er bei mir und singt ein Lied von Louis Armstrong direkt in meinem Kopf. Ganz sicher, um mich zu ärgern. »Und welche Dame beglückst du heute mit deiner Anwesenheit?«, fragt Vincent, während er den Code in den Zahlenblock tippt, woraufhin das Tor langsam aufschwingt.
    »Quintana«, antworte ich.
    »Aus?«
    »Upstate New York. Ist hier, um Kunst zu studieren.«
    »Blond?«, fragt er.
    »Falsch«, grinse ich. »Dunkle Haare mit blauen Spitzen. Ziemlich alternative Braut.«
    »Klingt genau wie dein Typ«, scherzt er. Dabei wissen wir beide, dass ich keinen bestimmten Typ habe. ‚Frau‘ ist mein Typ.
    Wie schon gesagt, wir sind wie ein altes Ehepaar, wir brauchen nicht viele Worte. Dabei könnten wir unterschiedlicher nicht sein. Vincent hatte seit Jahrzehnten kein Date mehr. Nicht, dass er je viel davon gehalten hätte. »Wozu denn?«, hatte er mich mal gefragt, irgendwann in den 80ern, als die Pariserinnen wirklich atemberaubend gewesen waren.
    »Wozu?«, hatte ich entgeistert zurückgefragt. »Sie sind wunderschön. Und so weich. Und sie riechen so gut. Was genau meinst du mit ‚Wozu‘?«
    »Wir müssen ja doch irgendwann wieder aus ihren Leben verschwinden. Wozu also den ganzen Aufwand betreiben, wenn man ihnen nicht mal richtig nahe kommen kann«, hatte er geseufzt.
    »Erlaube mal, ich komme ihnen sehr regelmäßig sehr nah!«
    »Das meine ich nicht«, antwortete er. »Ich spreche von emotionaler Tiefe. Und wieso riskieren, dass eine von ihnen unserem ganzen Clan auf die Schliche kommt, wenn du sowieso nur ein paar Nächte mit ihr verbringen willst?« Sein Gesichtsausdruck war leer gewesen. Gefühllos. Dabei wusste ich, dass sich ein fast bodenloser Schmerz darunter verbarg.
    »Mann, Vince, niemand wird dir je so viel bedeuten wie Hélène. Es ist jetzt siebzig Jahre her, dass du mitansehen musstest, wie sie von den Nazis getötet wurde, aber du klammerst dich immer noch daran. Akzeptier doch einfach endlich, dass deine erste Liebe auch deine größte war, und dass jede, die jetzt noch kommt, eben nur Platz zwei machen kann. Aber Platz zwei ist immer noch besser als gar keiner.«
    Meine Argumente fallen bei ihm jedoch auf taube Ohren. Wer sich nicht mit Sterblichen amüsieren will, muss eben auf Revenants zurückgreifen. Und wir kennen so ziemlich jeden weiblichen Revenant in Frankreich. Sie sind wie Schwestern für uns, was die Sache erheblich erschwert. Es kommt schon mal vor, dass zwei Revenants sich verlieben. Ab und zu. Vincent und mir ist das aber noch nicht passiert. Und bis zum nächsten internationalen Treffen unseres Konsortiums werden wir wohl auch keine neuen bardia -Schönheiten treffen.
    Wobei das für mich eh kein so großes Ding ist. Warum mit einer begnügen, wenn man viele haben kann? Das ist ein ziemlich guter Wahlspruch, finde ich. Gilt für Drinks, Freunde und Frauen. Für Feinde nicht so sehr, aber die Lage in Frankreich ist ja stabil. Die Zahlen von bardia und Numa sind
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