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von Schirach

von Schirach

Titel: von Schirach
Autoren: Schuld
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hatten
geheiratet. In dem Jahr hatte sie einen Jungen bekommen, ein Jahr später ein
Mädchen. Sie ka men zurecht,
es lief gut. Einmal geriet er in eine Schlägerei in der Firma, er wehrte sich
nicht, sie verstand das.
    Als ihre Mutter starb, wurde sie
rückfällig. Sie rauchte wieder Marihuana. Thomas fand sie am Bahnhof, an ihrem
alten Platz. Sie saßen ein paar Stunden zusammen auf einer Bank im Tiergarten,
dann fuhren sie nach Hause. Sie legte ihren Kopf in seinen Schoß. Sie brauchte
das nicht mehr. Sie hatten Freunde und engen Kontakt zu seiner Tante in
Hannover. Die Kinder waren gut in der Schule.
     
    Als die Wissenschaft so weit war,
wurden die Zigaretten im Aschenbecher des Toten molekulargenetisch
untersucht. Alle, die damals verdächtig gewesen waren, wurden zu einer
Reihenuntersuchunggebeten. Das Schreiben sah bedrohlich aus, ein Wappen, die
Aufschrift »Der Polizeipräsident von Berlin«, dünnes Papier in einem grünen Umschlag.
Es lag zwei Tage auf dem Küchentisch, bis sie darüber reden konnten. Es musste
sein, sie gingen hin, nur ein Wattestäbchen im Mund, es tat nicht weh.
    Eine Woche später wurden sie
festgenommen.
    Der Hauptkommissar sagte: »Es ist
besser für Sie.« Er machte nur seine Arbeit. Sie gaben alles zu, sie glaubten,
es komme nicht mehr drauf an. Thomas rief mich zu spät an. Das Gericht hätte
einen Unfall nicht sicher ausschließen können, wenn sie geschwiegen hätten.
     
    Sechs Wochen später wurden sie aus
der Untersuchungshaft entlassen. Der Ermittlungsrichter sagte, der Fall sei
ganz außergewöhnlich, die Beschuldigten seien inzwischen fest in die Gesellschaft
integriert. Sie seien zwar dringend verdächtig, eine Verurteilung sicher, aber
sie würden nicht fliehen.
     
    Es ließ sich nie aufklären, woher
die Pistole stammte. Er schoss ihr ins Herz und sich in die Schläfe. Beide
waren sofort tot. Ein Hund fand sie am nächsten Tag. Sie lagen am Wannsee,
nebeneinander, geschützt in einer Sandkuhle. Sie hatten es nicht in der Wohnung
machen wollen. Erst vor zwei Monaten hatten sie die Wände gestrichen.
     
    Die Illuminaten
     
    Der Orden der Illuminaten wurde am 1.
Mai 1776 von Adam Weishaupt gegründet, einem Lehrer für Kirchenrecht an der
Universität Ingolstadt. Damals hatten nur die Studenten der Jesuiten Zugang zu
den Bibliotheken, Weishaupt wollte das ändern. Der Professor hatte kein
Organisationstalent, vielleicht war er mit seinen 28 Jahren auch einfach zu
jung. Ein Freimaurer, Adolph von Knigge, übernahm 1780 die Führung des Geheimbundes.
Knigge kannte sich aus, der Orden wuchs, bis er wegen seiner aufklärerischen
Tendenzen eine Gefahr für die Krone darstellte und schließlich als
staatsfeindlich verboten wurde. Danach gab es eine Menge Theorien. Weil Adam
Weishaupt George Washington ein wenig ähnlich sah, wurde behauptet, die
Illuminaten hätten den Präsidenten ermordet und ihn durch Weishaupt ersetzt -
das Wappentier der USA, der Weißkopfadler, sei dafür ein Beleg. Und weil die
Menschen schon immer Verschwörungstheorien liebten, gehörten plötzlich alle zu
den Illuminaten: Galileo, die babylonische Gottheit Lilith, Luzifer und am
Ende die Jesuiten selbst.
    In Wirklichkeit starb Weishaupt 1830
in Gotha, die Geschichte des Orden endete durch das Verbot der Regierung im
Jahre 1784, und alles, was übrig blieb, ist eine kleine Gedenktafel in der
Ingolstädter Fußgängerzone.
     
    Manchen ist das zu wenig.
     
    Als Henry sechs Jahre alt war, wurde
er eingeschult und die Dinge begannen schiefzulaufen. Die Schultüte war aus
rotem Filz, beklebt mit Sternen und einem Zauberer mit Spitzbart. Es war eine
schwere Tüte, sie hatte eine Haube aus grünem Papier, er hatte sie alleine
getragen, seit sie von zu Hause weggefahren waren. Dann war die Tüte an der
Türklinke des Klassenzimmers hängen geblieben und hatte eine Delle bekom men. Er saß auf seinem Stuhl, er starrte auf seine
Tüte und die Tüten der andern, und als ihn die Lehrerin nach seinem Namen
fragte, wusste er nicht, was er sagen sollte, und er begann zu weinen. Er
weinte wegen der Delle, wegen der fremden Menschen, wegen der Lehrerin, die
ein rotes Kleid trug, und weil er sich alles ganz anders vorgestellt hatte.
Der Junge neben ihm stand auf und suchte sich einen neuen Nachbarn. Bis dahin
hatte Henry geglaubt, die Welt sei für ihn erschaffen, manchmal hatte er sich
schnell umgedreht, er hatte die Gegenstände dabei erwischen wollen, wie sie
einen anderen Platz einnahmen. Jetzt würde er das
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