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von Schirach

von Schirach

Titel: von Schirach
Autoren: Schuld
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ist eine
wirklich blöde Ausrede. Haben Sie Lust, mit mir einen Kaffee zu trinken?«
    Sie lachten beide. Ihr taten die Rippen weh. Sie hatte sich an die Schläge
gewöhnt. Sie würde es noch vier oder fünf Jahre aushalten, dann wäre Saskia
weit genug, sie war jetzt neun.
    Sie mochte Felix' Wohnung. Sie war warm, heller Boden, die Bücher auf
schmalen Holzregalen, eine Matratze mit weißem Laken. Er sprach mit ihr über
Bücher, sie hörten Schubert-Lieder. Er sieht aus wie ein großer Junge, ein
bisschen traurig vielleicht, dachte sie. Er sagte ihr, dass sie schön sei, und
dann schwiegen sie lange. Als sie wieder in ihre Wohnung ging, dachte sie, dass
vielleicht noch nicht alles zu Ende sei. Sie musste auch in dieser Nacht auf
den Boden neben das Bett, aber es machte ihr weniger aus.
    Nach drei Monaten schlief sie mit ihm. Sie wollte nicht, dass er sie nackt
sieht, nicht die blauen Flecke und Hautabschürfungen, sie ließ die Rollos
herunter und zog sich unter der Bettdecke aus. Sie war 31 , er hatte nicht viel
Erfahrung, aber zum ersten Mal seit Saskias Geburt schlief wieder ein Mann
richtig mit ihr. Sie mochte, wie er sie hielt. Danach lagen sie im Dunkel des
Zimmers. Er erzählte von den Reisen, die er mit ihr machen wolle, von Florenz
und Paris und anderen Orten, an denen sie nie gewesen war. Es kam ihr alles
ganz einfach vor, sie hörte gern seine Stimme. Sie konnte nur zwei Stunden
bleiben. Sie sagte ihm, dass sie jetzt nicht zurückwolle, sie sagte es einfach
so, es sollte nur eine Liebeserklärung sein. Aber sie merkte, dass sie es ernst
meinte.
    Später fand sie ihre Strümpfe nicht mehr, sie lachten darüber. Plötzlich
schaltete er das Licht ein. Sie hielt das Laken vor ihren Körper, aber es war
zu spät. Sie sah die Wut in seinen Augen, er sagte, er rufe die Polizei an,
sofort müsse man das machen. Sie brauchte lange, um ihn davon abzubringen, sie
sagte, sie habe Angst um ihre Tochter. Er wollte es nicht verstehen. Seine
Lippen zitterten.
     
    Zwei Monate später begannen die großen Ferien. Sie brachten Saskia zu ihren
Eltern aufs Land, sie war gerne dort. Auf der Rückfahrt in die Stadt sagte
Thomas: »Nun wirst du gehorchen lernen.« Felix schickte ihr eine SMS. Er
vermisse sie, sie las sie auf der Toilette der Autobahnraststätte. Es stank
nach Urin, aber es machte ihr nichts. Felix hatte gesagt, ihr Mann sei ein
Sadist, er freue sich, sie zu demütigen und zu verletzen. Das sei eine Störung,
es könne gefährlich für sie sein, ihr Mann müsse sich behandeln lassen. Aber
sie müsse ge hen, sofort. Sie wusste nicht, was sie tun sollte.
Sie konnte es nicht ihrer Mutter erzählen, sie schämte sich. Sie schämte sich
für ihn und für sich.
     
    Der 26. August
war der letzte Tag vor Saskias Rückkehr. Sie wollten sie abholen und eine Nacht
bei ihren Eltern bleiben. Danach würden sie zu dritt eine Woche nach Mallorca
fahren, die Tickets lagen auf dem Tischchen im Flur. Sie dachte, es würde dort
besser werden. Er hatte viel in diesen Tagen getrunken, in denen ihre Tochter
nicht da war. Sie konnte kaum noch laufen. Er hatte sie in den vergangenen zwei
Wochen jeden Tag anal und oral vergewaltigt, er hatte sie geschlagen, getreten
und gezwungen, aus einem Napf am Boden zu essen. Wenn er da war, musste sie nackt
sein, sie schlief auf dem Boden vor seinem Bett, er hatte ihr jetzt auch die
Decke weggenommen. Sie hatte Felix nicht sehen können, sie hatte ihm
geschrieben, dass es einfach nicht ginge.
    In dieser letzten Nacht sagte er: »Saskia ist jetzt reif. Sie ist zehn. Ich
habe gewartet. Wenn sie zurückkommt, werde ich sie mir nehmen.«
    Sie verstand nicht, was er sagte. Sie fragte ihn, was er meine.
    »Ich werde sie ficken, wie ich dich ficke. Sie ist so weit.«
    Sie schrie und ging auf ihn los. Er stand auf und schlug ihr in den Bauch.
Es war ein kurzer, harter Schlag. Sie übergab sich, er drehte sich um und
sagte, sie solle das wegwischen. Eine Stunde später legte er sich ins Bett.
     
    Ihr Mann schnarchte nicht mehr. Er hatte immer geschnarcht, schon in der
ersten Nacht, als sie glücklich waren. Am Anfang war es fremd gewesen, ein
anderer Mensch, hatte sie damals gedacht, eine andere Stimme. Allmählich hatte
sie sich daran gewöhnt. Sie waren jetzt seit elf Jahren verheiratet. Es würde
kein zweites Leben geben, es gab nur diesen Mann und nur dieses Leben. Sie saß
in dem anderen Zimmer und hörte Radio. Sie spielten irgendetwas, was sie nicht
kannte. Sie starrte ins Dunkel. In zwei Stunden
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