Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Mäusen und Menschen

Von Mäusen und Menschen

Titel: Von Mäusen und Menschen
Autoren: John Steinbeck
Vom Netzwerk:
schaute durch die Spalten nach dem Hufeisenspiel. Dann schlich er ans Ende der Scheune bis zur letzten Box und verschwand.
    Die Sonnenstreifen waren jetzt ganz oben an den Wänden, und das Licht in der Scheune wurde milde. Curleys Frau lag auf dem Rücken, halb bedeckt mit Heu.
    Es war sehr still in der Scheune, und die Ruhe des Nachmittags lag über der Farm. Sogar der Klang des Hufeisens, ja die Stimmen der Männer schienen gedämpft.
    Das Licht in der Scheune begann zu dämmern, während es draußen noch Tag war. Eine Taube flog zum offenen Scheunentor herein, flatterte im Kreis umher und wieder hinaus. Um den hintersten Stall herum kam eine Schäferhündin, mager und langgestreckt, mit schweren Zitzen.
    Auf dem Weg zu der Kiste, in der sich ihre Jungen befan-den, witterte sie den Geruch von Curleys Frau, und ihr Haar sträubte sich den Rücken hinauf. Sie kroch wimmernd zu ihrer Kiste und sprang hinein zu ihren Jungen.
    Curleys Frau lag da, halb bedeckt mit gelblichem Heu.
    Alle Gemeinheit und Durchtriebenheit, alle Unzufrieden-heit und alles Geltungsbedürfnis waren aus ihrem Gesicht geschwunden. Sie wirkte sehr schlicht und hübsch, ihr Antlitz war jugendlich lieblich. Ihre geschminkten Wangen und Lippen ließen sie lebendig und leicht schlafend erscheinen. Ihre Locken waren wie winzige Würstchen rückwärts von ihrem Kopf über das Heu gebreitet und ihre Lippen halb geöffnet.
    Wie es bisweilen geschieht, blieb der Augenblick gleichsam schweben und war mehr als nur ein Augenblick.
    Klang und Bewegung schienen viel, viel länger als nur einen Moment anzuhalten.

    99
    Allmählich erwachte die Zeit wieder und schlich sich träge vorwärts. Die Pferde stampften an der andern Seite der Futterkrippen, und die Halfterketten klirrten. Draußen wurden die Männerstimmen lauter und deutlicher.
    Von der letzten Box her ließ sich die Stimme des alten Candy vernehmen. »Lennie«, rief er, »o Lennie, ich hab immerzu gerechnet. Will dir sagen, was wir tun können.«
    Nun kam er um die Box herum. »O Lennie«, rief er wieder; dann hielt er inne, und sein Oberkörper richtete sich steif auf. Er rieb sein leeres Handgelenk an seinem weißen struppigen Backenbart. »Wußte nich, daß du hier bist«, sagte er zu Curleys Frau.
    Als er keine Antwort bekam, trat er näher. »Du solltest nich hier schlafen«, sagte er mißbilligend. Dann stand er neben ihr – »O Jesus Christus«, schrie er auf. Hilflos sah er sich um, seinen Bart reibend. Dann sprang er auf und stürzte aus der Scheune.
    Die Scheune war inzwischen lebendig geworden. Die Pferde stampften und schnauften, sie kauten an ihrem La-gerstroh und ließen ihre Halfterketten erklingen. In diesem Augenblick kam Candy zurück, George mit ihm.
    George fragte: »Weshalb wolltest du mich sprechen?«
    Candy zeigte auf Curleys Frau. George starrte sie an. »…
    Was is mit ihr los?« fragte er. Er trat näher, und die glei-chen Worte wie vorher Candy entschlüpften ihm. »O Jesus Christus«, und er war auf den Knien neben ihr. Er legte seine Hand auf ihr Herz. Langsam und steif stand er wieder auf, sein Gesicht war hart und gespannt wie aus Holz ge-schnitzt, und seine Augen hatten einen harten Ausdruck.
    Candy fragte: »Wer hat das getan?«
    George sah ihn kalt an. »Haste keine Ahnung?« fragte er. Candy schwieg. »Hätt es wissen können«, sagte George hoffnungslos. »Vielleicht, ganz tief unten, hab ich’s gewußt.«

    100
    Candy fragte: »Was wer’n wir jetz tun, George? Was wer’n wir tun?«
    George brauchte lange, bis er die Antwort fand. »Ich denke … wir wer’ns den andern Burschen sagen müssen.
    Wir wer’n ihn kriegen und einsperren müssen. Können ihn nich davonkommen lassen. Ach, armer Kerl – würde ja verhungern.« Er suchte, sich zu beschwichtigen. »Mag sein, se sperren ihn ein un sind nett mit ihm.«
    Aber Candy sagte erregt: »Wir sollten ihn entwischen lassen. Du kennst diesen Curley nich. Er wird alles dran-setzen, daß er gelyncht wird. Curley wird ihn töten.«
    George hing an Candys Lippen. »Hast recht«, sagte er,
    »jawoll, das wird Curley tun. Un die andern Burschen auch.« Er blickte zurück auf Curleys Frau.
    Und nun sprach Candy seine größte Angst aus. »Du un ich könn’ aber doch die kleine Farm bekommen, ja? Du un ich könn’ dort hingehn un ’n nettes Leben ha’m, nich?
    Nich wahr, George?«
    Bevor George antwortete, senkte Candy den Kopf und blickte in höchster Not auf den Boden. Er wußte …
    George sagte leise: »Ich glaub,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher