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Vom Regen in die Traufe

Vom Regen in die Traufe

Titel: Vom Regen in die Traufe
Autoren: Arto Paasilinna
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sich ruhig und gelassen in die unmenschlichen Qualen geschickt, die sein gequ ä lter K ö rper ihm zugemutet hatte. Hermanni fand, dass Ragnar einer der stillen Helden des Alltags war, die man h ö chst selten in dieser Welt traf.
    Lena streichelte die hei ß e Stirn ihres Onkels und bat den Kellner, ihm ein Glas guten Kognaks zu bringen.
    » Ich habe schon immer gewusst, dass du ein edler Charakter bist, Ragnar « , sagte sie. Der Angesprochene starrte mit w ü te n dem Blick ins Feuer.
    Als Hermanni auf Ragnars wilde Abenteuer mit den unber e chenbaren Ureinwohnern von Turavinga zu sprechen kam, kippte der Butler seinen Kognak hinunter und humpelte in sein Zimmer. Im Gehen schielte er Hermanni finster an.
    Um diese Jahreszeit herrschte wenig Verkehr, und die drei Reisenden, die bald nach dem Fr ü hst ü ck zu einer weiteren Tour aufbrachen, konnten in aller Ruhe die Landschaft geni e ß en. Allerdings stellten sie fest, dass auf den Stra ß en dieses Landes unerh ö rt dreist ü berholt wurde. Allein auf der Fahrt von Ma r vao nach Lissabon z ä hlten sie f ü nf gef ä hrliche Viel-fehlte-nicht-Situationen. Nicht umsonst war das portugies i sche Volk so tiefgl ä ubig und vertraute auf ein jenseitiges Leben.
    Unterwegs machten sie in der abgelegenen Provinzstadt T o mar halt, um einen Lunch einzunehmen. Ragnar r ü hmte sich damit, welch gutes H ä ndchen er bei der Auswahl lokaler, l ä n d licher Delikatessen hatte. Als koketter Mann von Welt wusste er, welche Speisen der Reisende genie ß en sollte. Er tippte mit seinem herrschaftlichen Zeigefinger auf ein Gericht vom Schwein, das die Speisekarte anzeigte, und schmunzelte zufri e den.
    » Letztlich sind die einfachen Mahlzeiten, die mit tausendj ä h riger Erfahrung zubereitet werden, das Beste, was die Welt f ü r einen armen Sterblichen bereith ä lt. «
    Der Schweinetopf erwies sich als ein Gemisch aus braunen Bohnen, Schweinsf üß en, Schnauzen, Schw ä nzen, Endd ä rmen und undefinierbaren Speckst ü cken. Aber ehe sie sich schlagen lie ß en, a ß en sie das Zeug lieber, denn der Wirt sah aus, als h ä tte er harte F ä uste und verst ü nde nicht viel Spa ß . In einer h ü gel i gen Gegend im westlichen Portugal, zwischen der Atla n tikk ü ste und der Hauptstadt Lissabon, erhob sich die mittela l terliche Kriegsfestung Obidos. Sie war sp ä ter zum K ö nigsschloss u m funktioniert worden und diente heute als Pousada. Das Hotel hatte nur zwanzig Bettenpl ä tze und mehrere Suiten, die sich in den hohen Wehrt ü rmen befanden. Die Finnen konnten jene im S ü dwestturm mieten. Es kostete M ü he, Ragnar durch die ve r winkelten S ä le und G ä nge in sein Zimmer zu bugsieren. Lena und Hermanni bezogen die auf zwei Etagen eingerichtete spartanische Suite, deren einzige nat ü rliche Lichtquelle eine schmale Schie ß scharte war. In der zweiten Etage stand ein jahrhundertealtes Baldachinbett, Schlafstatt von F ü rsten und K ö nigen. Auch dieser karge Turm war diskret mit allem den k baren Komfort ausgestattet worden, einschlie ß lich der ferng e steuerten Klimaanlage. Abends verw ö hnten sich die Reisenden mit gegrillter Brasse und dampfgegarten Lam m koteletts. Das Fr ü hst ü ck nahmen sie in der K ö nigsloge ein, die einen atemb e raubenden Blick auf gr ü ne H ü gel und fruchtbare T ä ler mit leuchtend gelben Feldern bot.
    Nachts drang durch die Schie ß scharte ein schmaler Streifen Mondlicht herein, er traf auf den an der Wand befestigten eisernen Ritterharnisch und lie ß ihn silbern blinken. Es war ein gruseliger Anblick. Die d ü stere Stimmung des Turmzi m mers befl ü gelte die Fantasie, lenkte die Gedanken auf das Leben und die Welt. Die Geister erh ä ngter Burgherren und erdrosselter K ö nige forderten ihr Recht – zu sp ä t, wie immer.
    Lena sprach im Fl ü sterton mit Hermanni ü ber die Situation in Finnland, die schlimmer war als je zuvor. Das Volk war in zwei Klassen aufgespalten, das war Fakt – in die Arbeitslosen und Ausgemusterten und in jene, die immer noch hofften und schwache Anzeichen einer beginnenden Konjunktur sahen. Eine Frau von f ü nfzig Jahren war faktisch M ü ll. Lena fand, dass es beim Volksaufstand nicht mehr nur um eine Revolte der Arbeitslosen ging, es w ü rde auch die letzte M ö glichkeit f ü r all jene sein, die auf den Boden der Gesellschaft, in die unterste Klasse, niedergestampft worden waren. Sie selbst f ü hlte sich auf gewisse Weise ebenfalls zum B-B ü rger deklassiert, auch wenn sie
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