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Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Titel: Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
Autoren: Maria Kolenda
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erfunden, aber ich lag wahrscheinlich
nicht falsch mit meiner Vermutung, denn sie protestierte nicht.
    »Und da
sind noch …« Sie zeigte ängstlich auf die Kisten am Fenster.
    »Ja. Neun
große Kisten. Durchlesen, aussortieren, viel Arbeit.«
    »Wissen
Sie, Frau Lem, ich habe da eine Idee. Mir geht’s ganz gut. Prima geht’s mir. Wenn
Sie wollen, kann ich Ihnen helfen. Ich bin gelernte Sekretärin, mit Sortieren kenne
ich mich aus.«
    Schützend
stellte ich mich vor die Kisten. »Aber nein. Das wird Sie nur unnötig belasten.«
    »Sie sind
so gut zu mir.« Sie versuchte, tief und gleichmäßig zu atmen. »Als fünffache Mutter
hat man’s nicht leicht. Sie verstehen mich, Frau Lem?«
    »Vollkommen.«
    »Und wenn
Sie etwas finden …«
    »Ja?«
    »Etwas.
Aaah!« Sie stöhnte auf und umklammerte ihren Bauch mit beiden Händen. »Zum Beispiel,
wissen Sie, jedermann macht Fehler, besonders als Frau in anderen Umständen, aus
Versehen, Sie verstehen mich, Frau Lem? Au!«
    »Soll ich
einen Krankenwagen rufen? Ich habe keine Ausbildung als Hebamme.«
    »Ja, das
ist eine gute Idee. Und geben Sie mir meinen Krankenhauskoffer herüber.«
    Den kleinen
Koffer stellte ich zu ihren Füßen und rief im Krankenhaus an.
    Ungehemmt
stöhnte sie und redete auf mich ein. »Also, wenn Sie zufällig Wahlzettel finden
oder ein Foto von mir oder was weiß ich, wo sich Edy damals rumgetrieben hat. Also,
ich wusste nicht, dass es Wahlfälschung war. Sie verstehen sicher, als Ehefrau des
Bürgermeisters stünde ich dann im einem falschen Licht da.«
    »Sie haben
die Wahlzettel gefälscht? Als fünffache Mutter?«
    »Nicht gleich
übertreiben. Damals vierfache. Und nicht gefälscht, nur ein paar Kreuze gemacht.
Und nur bei der Auszählung. Nur da, wo die Kreuze fast unsichtbar waren. Ich habe
ja so schlechte Augen, verstehen Sie. Dabei habe ich zu viel angekreuzt, und dann
waren die Zettel ungültig.«
    »Und nun?«
    »Wenn Sie
etwas finden«, sie atmete hektisch, »vernichten Sie es einfach. Versprechen Sie
mir das?«
    »Aber …«
    »Frau Lem,
einer Schwangeren darf man keine Bitte abschlagen.«
    »Ja, ich
weiß. Sonst fressen Mäuse mein ganzes Hab und Gut. Der Aberglaube macht mir keine
Angst, die Nagetiere würden bei mir verhungern, aber einverstanden, ich werde alle
Beweise verbrennen. Atmen Sie jetzt ganz ruhig. Ein und aus, ein und aus.«
    »Und die
Beweisfotos …« Sie schnappte nach Luft. »Was machen Sie damit?«
    »Was für
Fotos?«
    »Zum Beispiel
von mir mit einem Wildschweinkopf unterm Arm.«
    »Nein! Sie
haben gewildert?«
    »Oh Gott,
nur gekauft. Was nun?«
    »Keine Angst.
Ich sehe diese ekligen Schnappschüsse schon jetzt brennen.«
    »Frau Lem«,
sie drückte meine Hand fest an ihren Bauch. »Spüren Sie, wie regelmäßig jetzt die
Wehen kommen. Wir fühlen uns sehr gut verstanden: als Frauen und Mütter.«
    Schwer sank
ich auf das Bett nieder. »Mir ist schwindelig.«
    Mit der
Tischdecke fächelte sie mir Luft zu, bis ich eine Sirene vor der Pension aufheulen
hörte. Ein Arzt kam die Treppe hoch, gab mir eine belebende Spritze und führte die
trotz heftiger Wehen selig lächelnde Frau des Bürgermeisters zum Rettungswagen.
     
    Bevor ich mich von diesem Schreck
erholen konnte, hörte ich leises Kratzen an der Tür. »Ben?«
    »Nein, ich
will Sie nur kurz besuchen«, piepste es vom Flur. »Dann bin ich gleich wieder weg.«
    Wanda, gekleidet
in einen braunen Kartoffelsack, der mit einer überdimensionalen Perlenkette um den
Hals zugeschnürt war, schlich ins Zimmer.
    Ich riss
die Augen auf. »Nanu? Sind Sie gerade auf einer Pilgerreise nach Lourdes?«
    Verlegen
wickelte sie die Perlenkette um ihr Handgelenk. »Nächstes Jahr, jetzt ist keine
Zeit dafür. Die Firma …« Sie seufzte tief und geschäftstüchtig. »Ich bin die Erbin.
Allein im Büro mit drei Faxgeräten. Und wann soll ich das alles lesen? Mit meinem
Fremdwörterbuch habe ich längst aufgehört. Beim Buchstaben M. Molekül.
Molette, Molluske . Schade eigentlich. Wissen Sie, was
›Molluske‹ bedeutet?«
    »Nein.«
    »Weichtier.
Zum Beispiel Schnecken. Jan mag es nicht, wenn ich ›mein Schneckchen‹ zu ihm sage,
aber Molluskchen gefällt ihm ganz gut. Das passt zu ihm. Finden Sie nicht, Frau
Lem?«
    »Na ja,
er gehört selbstredend zu den Kaltblütern«, stimmte ich zu. »Aber er ist mehr ein
Chamäleon als ein Schneckchen.«
    Wanda zupfte
an ihrem Kleid »Sie meinen, er mag bunte Farben? Nein, das stimmt nicht, Farben
sind ihm völlig egal. Er sagt, dass
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