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Vom Kriege

Vom Kriege

Titel: Vom Kriege
Autoren: Carl von Clausewitz
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die der großen Straße sich quervorlegenden Sümpfe der Beresina, mit ihren waldreichen, unzugänglichen Rändern wäre ein Abschneiden noch weniger möglich gewesen. Drittens gibt es überhaupt kein Mittel, sich gegen eine solche Möglichkeit anders zu sichern, als indem man seine Macht in einer gewissen Breite vorführt, welches wir schon früher verworfen haben; denn ist man einmal darauf eingegangen, in der Mitte vorzudringen und sich die Seiten durch Heere zu decken, die man rechts und links zurückläßt, so müßte man bei jedem möglichen Unfall eines solchen Heeres mit der Spitze gleich zurückeilen, und dann könnte wohl aus dem Angriff nicht viel werden.
    Man kann gar nicht sagen, daß Bonaparte seine Seiten vernachlässigt habe. Gegen Wittgenstein blieb eine überlegene Macht stehen; vor Riga stand ein angemessenes Belagerungskorps, welches sogar dort überflüssig war, und im Süden hatte Schwarzenberg 50000 Mann, womit er Tormassof überlegen und selbst Tschitschagow beinahe gewachsen war; dazu kamen noch 30000 Mann unter Victor im Mittelpunkt des Rückens. - Selbst im Monat November, also im entscheidenden Augenblick, als sich die russischen Streitkräfte verstärkt hatten und die französischen schon sehr geschwächt waren, war die Überlegenheit der Russen im Rücken der Moskauer Armee noch nicht so außerordentlich. Wittgenstein, Tschitschagow und Sacken bildeten zusammen eine Macht von 110000 Mann. Schwarzenberg, Reynier, Victor, Oudinot und [631] St.-Cyr waren effektiv noch 80000 Mann. Der behutsamste General würde beim Vorgehen seinen Flanken kaum eine größere Streitkraft widmen.
    Hätte Bonaparte von den 600000 Mann, die im Jahr 1812 den Njemen überschritten haben, statt 50000, die mit Schwarzenberg, Reynier und Macdonald über denselben zurückgegangen sind, 250000 zurückgebracht, welches bei Vermeidung der Fehler, die wir ihm vorgeworfen haben, möglich war, so blieb es ein unglücklicher Feldzug, aber die Theorie hätte nichts dagegen einwenden können, denn über die Hälfte seines Heeres einzubüßen, ist in solchem Fall nichts Ungewöhnliches, und nimmt sich für uns nur wegen des großen Maßstabes so aus. -
    Soviel über die Haupthandlung, ihre notwendige Tendenz und ihre unvermeidlichen Gefahren. Was die untergeordneten Handlungen betrifft, so sagen wir vor allen Dingen: es muß ein gemeinschaftliches Ziel aller da sein, aber dieses Ziel muß so gestellt werden, daß es nicht die Tätigkeiten einzelner Teile lähmt. Wenn man vom Ober- und Mittelrhein und von Holland aus gegen Frankreich vordringt, um sich bei Paris ein Rendezvous zu geben, und jede Armee nichts wagen, sondern sich soviel wie möglich intakt erhalten soll, bis diese Vereinigung erreicht ist, so nennen wir das einen verderblichen Plan. Es entsteht notwendig ein Abwägen der dreifachen Bewegung, welche Zögerung, Unentschlossenheit und Zaghaftigkeit in das Vorschreiten jedes Teils bringt. Besser ist es, jedem Teil seine Armee für sich zuzumessen und nur die Einheit dahin zu setzen, wo diese verschiedenen Tätigkeiten von selbst zur Einheit werden.
    Dieses Trennen, um sich ein paar Märsche später wieder zu vereinigen, kommt fast in allen Kriegen vor und ist doch im Grunde ganz ohne Sinn. Ist man getrennt, so muß man wissen, warum man es ist, und dieses Warum muß erfüllt werden und kann nicht in der späteren Vereinigung bestehen wie bei einer Quadrillentour.
    Es soll also, wenn die Kriegsmacht zum Angriff auf getrennten Kriegstheatern vorgeht, jedem Heer seine Aufgabe für sich bestehend gegeben werden, an deren Gegenstand es seine Stoßkraft erschöpfen kann. Daß dies letztere von allen Seiten geschehe, darauf kommt es an, und nicht darauf, daß alle verhältnismäßige Vorteile erringen.
    Wird einem der Heere seine Rolle zu schwer, weil der Feind eine andere Verteilung gemacht hat, als wir glaubten, erlebt es Unglücksfälle, so muß und darf dies keinen Einfluß auf die Tätigkeit der andern haben, oder man würde von Hause aus die Wahrscheinlichkeit des allgemeinen Erfolges gegen sich selbst wenden. Nur wenn die Mehrheit unglücklich ist oder die Hauptteile es sind, darf und muß dies Einfluß auf die andern haben: alsdann ist nämlich der Fall eines verfehlten Plans eingetreten.
    Eben diese Regel gilt für diejenigen Heere und Abteilungen, welche ursprünglich zur Verteidigung bestimmt sind und durch einen günstigen Erfolg derselben zum Angriff übergehen können, wenn es nicht vorzuziehen ist, ihre [632]
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