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Vom Buch zum Byte. Kurze Geschichte des E-Books (German Edition)

Vom Buch zum Byte. Kurze Geschichte des E-Books (German Edition)

Titel: Vom Buch zum Byte. Kurze Geschichte des E-Books (German Edition)
Autoren: Ansgar Warner
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von alldem nur wenig zu sehen, wenn überhaupt, dann im Fernsehen. Denn der erste Bildschirm, der in praktisch jedem Haushalt vorhanden war, zeigte nicht statische Buchstaben an, sondern bewegte Bilder. Umso mehr brachte dieses elektronische Massenmedium die Gemüter der Kulturkritiker in Wallungen. Für den kanadischen Medientheoretiker Marshall McLuhan ergab das weltweite Geflimmere der Fernsehbildschirme genau das Gegenteil von der Utopie einer universalen Bibliothek:
    „Anstatt sich in Richtung einer riesigen Bibliothek von Alexandria zu entwickeln, hat sich unsere Welt in einen Computer verwandelt, ein elektronisches Gehirn, fast wie ein infantiles Stück Science-Fiction“, schreibt McLuhan in seinem Klassiker „Die Gutenberg-Galaxis – Das Ende des Buchzeitalters“ (1962).
    High-Tech sorgte gerade nicht für mehr Vernunft, sondern versprach den Massen Spiel, Spaß und Spannung. Die Kombination aus Emotionalisierung und Gleichschaltung hatte für den Medientheoretiker dabei etwas äußerst bedrohliches, denn sie schien den Mächtigen die Kontrolle großer Menschenmengen zu ermöglichen:
    “Während unsere Sinne hinaus driften, kommt im Gegenzug Big Brother herein. Machen wir uns diese Dynamik nicht bewusst, geht die Reise in Richtung von Massenpaniken, wie es sich für eine Welt gehört, die regiert wird von Stammestrommeln, totaler gegenseitiger Abhängigkeit und erzwungener Koexistenz“.
    Andere zeitgenössische Theoretiker konnten der „mobilisierenden Kraft“ der Massenmedien durchaus etwas Positives abgewinnen. So etwa Hans-Magnus Enzensberger. Besonders gefiel ihm die Netzwerk-Struktur der elektronischen Medien. Anders als bei Büchern oder Zeitungen hatte man es hier nicht mit reinen „Distributionsapparaten“ zu tun, sondern mit „Kommunikationsapparaten“. Zumindest besaßen sie das Potential kommunikativer Gleichberechtigung: „In ihrer heutigen Verfassung schleppen Funk, Film und Fernsehen bis zum Überdruß die autoritären und monologischen Züge mit, die sie von älteren Produktionsweisen ererbt haben“, beklagte sich Enzensberger in seinem legendären „Baukasten zu einer Theorie der Medien” (1970). „Hörerbriefe“ an den Intendanten mochten vielleicht möglich sein, dazwischenfunken dagegen galt als Straftat. Die Struktur der elektronischen Medien verlangte aber eigentlich nach etwas ganz anderem, nämlich nach direkter „Interaktion“.
    Enzensberger interessierte sich vor allem für jene Massenmedien, die bereits in den Händen der Massen waren, etwa Fotokopierer, Kassettenrekorder oder Videokamera – mit diesen individuell verfügbaren Geräten konnte bereits in den 1970er Jahren eine neue, vernetzte Form von „Gegenöffentlichkeit“ produziert werden. Ein Jahrzehnt später sollte auch der Personal Computer dazukommen. Was gedruckte Bücher betraf, waren die Möglichkeiten des Self-Publishings allerdings noch ziemlich begrenzt, alleine schon aus Kostengründen.
    Obwohl die Gutenberg-Presse den elektronischen Medien grundsätzlich unterlegen war, billigte Enzensberger dem Buch deswegen einen vorübergehenden Sonderstatus zu: „Zwar ist es weniger handlich und raumsparend als andere Speichersysteme, doch bietet es bisher einfachere Möglichkeiten des Zugriffs als beispielsweise der Mikrofilm oder der Magnetspeicher. Es dürfte als Grenzfall in das System der neuen Medien integriert werden und dabei die Reste seiner kultischen und rituellen Aura verlieren.“ Tatsächlich sollte einer der nachhaltigsten Schritte zur Entzauberung der gedruckten Lettern nur ein Jahr später beginnen.

1970er Jahre: „Born on the 4th of July“
    Eine schönere Gründungslegende für das elektronische Buch kann man sich kaum vorstellen: pünktlich zum 4. Juli 1971 tippte Michael S. Hart den Text der „DECLARATION OF INDEPENDENCE“ in das Terminal einer Xerox Sigma V-Großrechenanlage der Universität von Illinois. Die Schreibweise ist in diesem Fall tatsächlich historisch – denn der begrenzte Zeichensatz enthielt nur Großbuchstaben. Begrenzt war auch der Zugang zu einem der wenigen Computer im „Material Research Lab“ der Universität. Doch freundliche Administratoren hatten dem Mathematik-Studenten zur Feier des Unabhängigkeitstages ein Account mit unbegrenzter Rechenzeit eingerichtet – was nach damaligen Standards einem Wert von mindestens 100 Millionen Dollar entsprach. Was konnte man mit solch einem Schatz anfangen?
    „Michael kam zu dem Entschluss, dass er mit ‘normaler
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