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Vom Baum Der Erkenntniss

Titel: Vom Baum Der Erkenntniss
Autoren: Karl Gutzkow
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was ich jetzt suche, denn ohne dieses ist der Ruhm keinen Heller werth.«
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    Es gibt eine Geckerei des Geistes, die sich mit dem lächerlichen Effekthaschen vergleichen läßt, das klein gewachsenen Leuten von reizbarer Eitelkeit eigen ist. Wie diese stundenlang vorm Spiegel stehen können, ihr Halstuch ordnen, ihre Füßchen vorstrecken und bei jeder Erinnerung an ihre Figur, die gegen Wuchs und Erscheinen Anderer im Rückstand geblieben ist, in einen kollerartigen Zorn gerathen, so ist es auch einem an Wuchs zu kurz gekommenen, sonst vielleicht lebhaften Geist eigen, sich in selbstgefälliger Phrase zu ergehen, sich von keines Andern Art imponiren zu lassen und an die eigenthümlichsten Erscheinungen mit der Miene heranzutreten, als stünde er mit ihnen auf einer und derselben Linie. Hülfsmittel, um einen von Hause aus nur kleinen Geist in die Höhe zu recken, gibt es jagenug. Man macht sich zum Vertheidiger positiver, machtbegabter Dinge, die vor jeder Neuerung einen Vorsprung voraushaben, man schließt sich bald an eine imposante Majorität, bald an eine vornehmthuende Minorität an. Vor allem aber unterstützt man sein Raisonnement durch die oft leider nicht wegzuläugnende Thatsache, daß das, was der originelle Kopf versuchte, erfolglos war.
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    Schönheit der Prosa beruht so gut auf rhythmischen Gesetzen, wie die Schönheit des Versbaues. Können wir über eine prosaische Rede, um die Länge und Kürze der darin gebrauchten Worte zu bezeichnen, häufige Jambenzeichen (u –), Tribrachyszeichen (u u u), Päonquartuszeichen (u u u –) und wol gar das Zeichen des Proceleusmaticus (u u u u) setzen, so fehlt jede schöne Continuität, die Sätze zerbröckeln in ein loses Geröll und von angenehmer Klangwirkung ist nicht die Rede. Die Schönheit der Prosa beruht auf einer durchgehend anapästischen Bewegung, zwei Kürzen als Auftakt, dann eine Länge (u u –), zwischendurch wenig Jamben und viel Choriamben (– u u –). Man vergleiche nur den Rhythmus der Prosa, die man schreibt, mit dem Rhythmusderjenigen, die man diktirt. In letzterer zeigt sich, daß wir, wenn wir sprechen, von selbst dem Genius der Sprache huldigen, der für ein wohllautendes Abwechseln zwischen langen und kurzen Silben einen uns ganz unbewußten Trieb hat.
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    Zu denjenigen Gemeinplätzen, die man täglich wiederholen hört, muß man gewisse Unterscheidungen zwischen Genie und Talent rechnen, Unterscheidungen, die von den Einflüssen des Dilettantismus herrühren, der leider zu allen Zeiten, während die berufenen Geister schufen, die Theorie ihres Schaffens bestimmen wollte. Der Dilettantismus ist entweder unendlich anmaßend oder unendlich zerflossen. Anmaßender Dilettantismus hat die Lehre vom Genie aufgebracht, dem leider das Talent fehlen sollte, gewöhnlich also – er selbst. Zerfließender Dilettantismus will in Allem, was das Talent hervorbringt, den Funken des Genies vermissen. Das Wahre an dem ganzen Gegensatz zwischen Genie und Talent ist, daß es nie ein Genie ohne Talent und nie ein Talent, das den Namen verdient, ohne Genie gegeben hat. Die eigentlichen Werthbestimmungen des geistigen Vermögens und artistischen Schaffens liegen nur imGrade, nur in der Weihe, nur in der erreichten Vollendung dessen, was man geben will, aber nicht in einer von jenseits hergeholten Urverschiedenheit zwischen Genie und Talent. Das Genie ist das schöpferische Talent in seiner höchsten Potenz. Die Bezeichnungen geringer Potenzen des Talentes mit dem Namen Genie, wo dem Schwunge nur die rechte Anlage und Ausbildung fehlen solle, ist eine Erfindung eben jener Dilettanten, die das wahre Können und Vermögen in allerhand Rubriken und Etagen deßhalb vertheilen müssen, um dabei immer auch noch für sich selbst ein Plätzchen zu gewinnen. Shakespeare war ohne Zweifel Talent und Genie zu gleicher Zeit, doch würde man seit hundert Jahren weit besser gethan haben, mehr sein Talent hervorzuheben als sein Genie. Die absolute Talentlosigkeit würde dann einer zufällig nicht mit Talent begabten Geniehaftigkeit, die aber eben auch keine ist, nicht so viel Feld eingeräumt haben in unserer Literaturgeschichte und unserer noch täglich grassirenden Dilettantenkritik. Was war denn Kotzebue? Unsere überschwängliche Phrasenmacherei sagt: Ein großes Talent! Aber gerade im Gegentheil! Kotzebue war, im Sprachgebrauch dieser Talent- und Genieunterscheidungen, ein Genie, jedoch im edlen und rechten Sinne des Wortes nur ein mäßigesTalent.
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