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Vollmeisen

Vollmeisen

Titel: Vollmeisen
Autoren: Klein Kerstin
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dreißig und trug tatsächlich braune Schnürschuhe zu einem grauen Hosenanzug, der sich über üppige Hüften spannte. Ja, ich weiß, man soll nicht nach dem Äußeren gehen, aber tatsächlich weiß man schon sehr viel über einen Menschen, der Braun mit Grau kombiniert. Frau Müller-Schultze vertiefte sich in meine Unterlagen und stieß dabei ab und an einen merkwürdigen Seufzer aus. Endlich blickte sie auf: »Frau Wörthing, das sieht aber gar nicht gut aus. Ein abgebrochenes Studium der Ernährungswissenschaften und dann drei Jahre Bürotätigkeit in einem doch eher obskuren Gewerbe, was stellen Sie sich da vor?«
    Ich riss mich vom Anblick ihrer braunen, stumpfen Haare los (eine aufbauende Kur mit Enzymen würde hier Wunder wirken), fragte mich kurz, was an meinem Job »obskur« gewesen sein sollte, und seufzte dann auch: »Tja, ich bin mir nicht sicher, ich dachte, Sie wären dafür da, mir Vorschläge zu machen.« Das war die falsche Antwort, denn nun erhielt ich einen Fünfzehn-Minuten-Vortrag über die Pflichten des Arbeitssuchenden in diesen Zeiten, in dem mindestens dreimal das Wort »persönliches Engagement« vorkam. So kamen wir hier nicht weiter, also fragte ich nach der Sache, die mich im Moment wirklich interessierte: »Wie viel würde mir die Agentur für Arbeit denn monatlich so zahlen?« Frau Müller-Schultzes Antwort ließ mich erblassen und ihr schnellstens versichern, dass ich selbstverständlich sofort wieder jobmäßig einsteigen wollte.
    Das war genau das, was sie hören wollte. Mit den unheilschwangeren Worten »Sie hören von uns« war ich entlassen. Ich musste nur noch ein paar Unterlagen nachreichen, und eine gewisse, wenn auch nicht wirklich üppige Unterstützung würde fließen.
    Aber wo waren bloß meine ganzen Zeugnisse und die Bescheinigung über mein nicht beendetes Studium? Wahrscheinlich noch bei Simon. Ich sah auf die Uhr, es war elf Uhr vormittags. Vielleicht war Simon schon wieder zu Hause. Jedenfalls konnte es nicht schaden, noch mal zur alten Wirkungsstätte zurückzukehren, schließlich hatte ich einen guten Grund. Möglicherweise war der Liebesurlaub mit meiner Nachfolgerin ja gar nicht gut gelaufen, und er hatte gemerkt, welchen schlimmen Fehler er gemacht hatte. Dann wäre ich zur rechten Zeit am rechten Ort und könnte ihn wieder mit offenen Armen aufnehmen beziehungsweise er mich. Zwar sagte mir eine beharrliche innere Stimme, dass ich mir diesen peinlichen Ausflug ersparen sollte, aber manchmal konnte ich ganz schön schwerhörig sein. Also ging’s zur U-Bahn, und eine halbe Stunde später stand ich wieder einmal vor meiner alten Wohnungstür.
    Auf mein Klingeln passierte gar nichts (wieso hätte es auch?), aber praktischerweise hatte ich am Tag zuvor wohl vergessen, meine Schlüssel dazulassen. Und natürlich war es auch nur Zufall, dass sich diese gerade jetzt in meiner Handtasche befanden. Keineswegs hatte ich schon am Morgen vorgehabt, diesen Ausflug zu machen, nein, ganz bestimmt nicht.
    Schon im Flur roch es komisch, irgendwie nach billigem Rasierwasser. Merkwürdig, das war so gar nicht Simons Art, sein Duft war teuer und stammte aus dem Hause Chanel . Aber das war plötzlich ganz unwichtig, denn auf einmal kam ein dicker Mann aus dem Wohnzimmer Richtung Flur. Mir war immer schon klar, wie ich mich bei einem Einbruch verhalten würde. Hauptsache cool bleiben, mit dem nächstgelegenen, geeigneten Gegenstand dem Einbrecher eine überziehen und dann schnellstmöglich die Polizei rufen. Und cool bleiben, natürlich.
    So weit die Theorie. In der Praxis gelang mir nicht mal ein gellender Schrei, es kam nur eine Art Fiepen aus meinem Mund, und vor Schreck fiel ich auch noch hin. Vorher hatte mich der dicke Mann noch gar nicht auf dem Radar gehabt, aber mit dieser Einlage konnte er mich gar nicht mehr verfehlen. Bevor ich auch nur versuchen konnte, meine Stimme wiederzufinden, stürzte er sich auf mich und setzte sich mit seinem ganzen Gewicht auf meinen Bauch. Da lag ich wie ein Käfer auf dem Rücken und wartete, dass mein Leben an mir vorbeizieht, was es aber nicht tat. Mit seinen blondgrauen Haaren und den blauen Augen sah er nicht wie ein typischer Bösewicht aus, eher wie ein fünfzigjähriger Buchhalter.
    Â»Du wohnst hier. Du sagst mir, wo der Drecksack ist, du sagst es mir nun im Moment.«
    Der
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