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Vollmeisen

Vollmeisen

Titel: Vollmeisen
Autoren: Klein Kerstin
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hilfreichen Kommentaren meiner Eltern in der Art von: »Wie kann man nur so dumm sein?« und »Hast du denn nie an die Zukunft gedacht?«, war mein Einzug besiegelt, und meine Mutter brachte mich in mein altes Zimmer. Zumindest in das, was von meinem alten Zimmer übrig war.
    Â»Das ist meine Töpferwerkstatt, die habe ich mir letztes Jahr eingerichtet«, informierte mich meine Mutter. »Aber ich habe dir eine Liege reingestellt, und morgen sehen wir mal weiter.«
    Großartig, von Sentimentalitäten hielt meine Mutter wohl nicht viel, kaum war ich aus dem Haus, waren auch schon alle Erinnerungen an mich getilgt worden. Aber immerhin, ich hatte ein Dach über dem Kopf und eine Liege unter dem Hintern.
    Irgendwann war ich dann tatsächlich eingeschlafen, nur um kurze Zeit später wieder von meiner Mutter geweckt zu werden: »Steh auf, Alice, es ist sieben Uhr, Papa fährt gleich zur Arbeit und kann dich mit in die Stadt nehmen.«
    Â»In die Stadt?«, fragte ich verschlafen. »Was soll ich denn da? Die Geschäfte haben doch noch gar nicht auf.«
    Manchmal war meine Mutter echt komisch. Ich wollte gerade weiterschlafen, als sie mich wieder rüttelte: »Himmel, Alice, nun komm endlich. Du kannst doch in deiner Situation nicht ans Shoppen denken. Du musst zum Arbeitsamt oder wie das heutzutage heißt, du musst dich kümmern.«
    Tja, ein Dach über dem Kopf zu haben war eine Sache, aber wenn das Dach den Eltern gehörte, war man eben auch gleich wieder das Schulkind, dem Mama erzählte, was es zu tun hatte.
    Â»Ich kann da heute noch nicht hin, meine Unterlagen und alle Sachen sind noch bei Simon, die hole ich noch«, sagte ich ihr in der Hoffnung, nun endlich weiterschlafen zu können. Aber meine Mutter arbeitete nicht umsonst seit über zwanzig Jahren als Tupper- Beraterin, da war Hartnäckigkeit sozusagen der zweite Vorname. »Genau, und die holst du jetzt, schieb doch nicht immer alles auf die lange Bank, nicht umsonst bist du jetzt in dieser Lage, blablabla …«
    Den Rest bekam ich nicht mehr so ganz mit, aber es war klar, dass sie mich nicht in Ruhe lassen würde. Also musste ich wohl oder übel aufstehen, mitten in der Nacht. Wenigstens fuhr mein Vater ohne mich los, der Weg zu seiner Werkstatt führte nicht an meiner alten Wohnung vorbei. Mein Vater war Klempner und wollte auch nie etwas anderes sein. Während seine Klempnerkollegen mittlerweile großartige Designerbäder in Glaspalästen präsentierten oder als metallverarbeitende Betriebe an die Börse gingen, reparierte mein Vater verstopfte Rohre und dichtete Waschbecken ab. Irgendwie beneidete ich ihn manchmal, nicht, weil er in verstopfte Klos greifen durfte, sondern weil er einer der wenigen Menschen war, die wirklich mit ihrem Leben zufrieden waren.
    Nach einer langen Dusche und einem ausgiebigen Frühstück machte ich mich also auf den Weg zu meinem alten Domizil, um meine Sachen zu packen. Vor der Haustür wartete schon meine Freundin Britt auf mich, die versprochen hatte, mir zu helfen.
    Wir beide hatten uns vor sechs Jahren kennengelernt. Ich war mit meinem damaligen Freund, der irgendwelche Geschäfte mit ihrem Mann Hubert machte, zu einer ihrer Partys eingeladen. Also, Geschäfte hört sich vielleicht etwas zu abenteuerlich an, Hubert ist keiner, der Frauen verschiebt oder irgendein Dritte-Welt-Land mit Atomraketen beliefert oder so. Eigentlich ist er ein ganz normaler Steuerberater, allerdings mit äußerst lukrativer Praxis. Dort habe ich Britt getroffen und war ziemlich fasziniert. Sie ist eher klein, mit großen blauen Kulleraugen und blondgesträhnten langen Haaren, aber ihr Auftritt war der einer echten Diva. Hubert hatte bei ihr nicht viel zu lachen. Sie war richtig auf Zack. Wir redeten ein bisschen miteinander, und sie erzählte, sie wäre Geschäftsfrau mit vielen Beteiligungen. Toll, oder? Später allerdings stellte sich heraus, dass sie sich als Geschäftsfrau sah, weil sie Huberts Geld und er sie bekommen hatte, und die Beteiligungen waren nichts weiter als Kundenkarten verschiedenster Läden. Also gelogen hatte sie insofern ja nicht. Als wir auch noch feststellten, dass wir beide die alten Doris-Day- und Rock-Hudson-Filme liebten, waren wir bald beste Freundinnen. Außerdem ergänzten wir uns perfekt: Ich hatte immer ein bisschen Angst vor Männern, und Männer hatten immer ein bisschen Angst vor ihr
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