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Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen

Titel: Vogelstimmen - Bernemann, D: Vogelstimmen
Autoren: Dirk Bernemann
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ausstrahlte, sondern eines, in dem wir uns wohlfühlten. Es gibt ja Schweigemomente, da fühlt man sich so unwohl, dass man dem Zwang unterliegt, seine Keksdose voller Gefühle, die man in sich aufbewahrt, aufmachen zu müssen, und auch wenn nur Vokale rauskämen, es wäre besser, als das Schweigen auszuhalten. Unser Schweigen aber war anders, es war das Leisesein zweier Menschen, die manchmal ohne Worte schöner reden konnten als mit den ausgesuchtesten Buchstabenhülsen.
    Ich rauchte, Kai auch. Nebelumwoben saßen wir da, angelehnt an eine Wand. Nebeneinander. Wir saßen beide auf dem Holzfußboden, zwischen uns ein Aschenbecher, der sich im Verticken einer Stunde mit Beharrlichkeit, Kippen und Asche füllte. Es waren traurige Augenblicke, die wir hier teilten und verbrachten, es würden sich viele Dinge verändern, die eine Verlässlichkeit gehabt hatten, die mich strukturierten, ein wenig von der grauen Anonymität meines Alltags weg strukturierten. Die Freundschaft zu Kai war zu einer Statue geworden, über deren Existenz man trotz ihrer Unfotogenität seltsam froh war.
    Uns umspülten warme Wellen Verständnis. Vom Plattenspieler im Hintergrund sang Nick Cave von endlosen Abschieden. «... I am a crooked man, and I’ve walked a crooked mile, night, the shameless widow, doffed her weeds, in a pile, the stars all winked at me, they shamed a child, your funeral, my trial ...» Unpassend pathetisch eigentlich, aber der Melancholie, die wohl in uns beiden stattfand, gerecht werdend. Your funeral, my trial , so hieß das Stück von Nick Cave und sein Piano wuchtete sich durch unser Schweigen und unterstrich das lächerliche Grau, in dem wir eingesperrt waren. Kai hatte zur dezenten Stimmungsmache ein paar Teelichter auf seinen Holzfußboden gestellt, die da jetzt flackerten, und wenn man nur lange genug in so eine blöd zuckende Flamme starrte, dann wusste man anschließend zwar nicht mehr über das Leben, aber man hatte seinen Blick auf was Schönes gesetzt. Aber auch darin erkannte ich Vergänglichkeit, in so einem blöden Teelicht. Die Dinger zucken zwei Stunden das schönste Passivlicht in einen Raum und enden danach als leere Metallhülse, die einen dünnen schwarzen Rauchfaden preisgibt.
    Ich hatte Kai in wenigen Worten vom Sterben meiner Mutter berichtet, und er hatte genickt, wie ein in einer Fernsehübertragungszeitlupe gefangener Sportler, und er hatte mich angesehen in einer Art, die genug Trost beinhaltete, dass ich mich darin verstanden fühlen konnte. Das tat gut, das war so ein Trost, der alles bestätigte, was mir an diesem Menschen wichtig war. Seine Standfestigkeit, seine Loyalität, seine Treue, seine Gewissenhaftigkeit. Puzzleteile, aus denen eine verlässliche Freundschaft gebaut war.
    Kai roch etwas ungewaschen, aber so riechen Menschen nun mal, die durch die Kunst zu atmen gedenken. Menschen wie Kai riechen nach mentaler Abnutzung, nach der verzweifelten Suche des korrektesten aller Akkorde für das traumhafteste aller Lieder. Ich liebte seine Leidenschaft, auch wenn sie mir abging. Vielleicht auch gerade weil sie mir abging. Das hier war die Freundschaft zweier unterschiedlicher Charaktere, die aber beide am Ziel der Findung von persönlichem Glück arbeiteten. Und für uns beide war es wirklich Arbeit, also eine Belastung, die man am Abend bemerkte, wenn man sich schlafen legte und auf den Traum wartete, der vielleicht etwas über einen sagen könnte. Häufig aber schwiegen die Träume und man blieb als leeres Gedankenkonstrukt zurück, einen hektischen Halbschlaf ausübend. Sich anschließend unausgeschlafen die Augen reiben, irgendetwas machen müssen; irgendein Ort, der einen rief, war ja immer zugegen, ein Arbeitsplatz, ein Klavier, die Kaffeemaschine, eine Zahnbürste.
    Kais Wohnung war fast komplett leergeräumt. Vereinzelt hielten sich hier Umzugskartons, die reiselustig herumstanden, auf. Der Plattenspieler stand in einer Ecke und wir hörten Nick Cave, der mit seiner melancholiebeladenen Stimme die Welt zerklärte. «Mein Klavier ist schon in Leipzig», hatte Kai vorhin gesagt und auch, dass er hoffe, dass ich schnellstmöglich mal vorbeikommen würde, um einen stilvollen Freunde- und Trinkabend zu zelebrieren. Ich spürte die zerbrechliche Sehnsucht in dieser Bitte; seine Sehnsucht, weiterhin an meinem Leben teilzuhaben, war echt. «Bald werde ich kommen», versprach ich ihm, und wir schwiegen wieder und ich starrte in die Teelichtflamme und sie starrte in ihrer entzückend
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