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Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Titel: Virtuosity - Liebe um jeden Preis
Autoren: Jessica Martinez
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ihm nicht die Meinung sagte. Er war derjenige, dem das alles peinlich sein sollte, nicht mir. Meine Finger kamen kaum hinter den Beleidigungen her, die mein Verstand ausspuckte. Ich schrieb Worte nieder, die ich niemals laut sagen würde. Das Gefühl war wunderbar.
    Ich hatte bereits mehrere Seiten meiner Tirade abgefasst, als ich zum ersten Mal innehielt und ordentlich Luft holte. Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren. Normalerweise krochen schlaflose Nächte nur so dahin, aber meine Wut hatte die letzte Stunde einfach verschlungen. War es tatsächlich schon nach drei Uhr? Ich las mir durch, was ich bis jetzt geschrieben hatte. Es klang … vollkommen verrückt. Wie das Gefasel einer rasenden Irren. Das konnte ich unmöglich so abschicken. Mein Zeigefinger fand die Löschtaste und ich sah zu, wie die Beleidigungen Buchstabe für Buchstabe verschwanden.
    Wieso regte er sich so auf? Ich hatte schließlich nichts Hinterhältiges getan – und außerdem war er derjenige, der sich mit seinem Salut wie ein Idiot benommen hatte. Mir war die ganze Sache peinlich, aber das musste es nicht sein. Denn Jeremy war eindeutig kein netter Mensch. Er gehörte zu denen, die eine Schwäche ent­decken und dann so lange daran herumkratzen, bis etwas Rohes und Schmerzhaftes zum Vorschein kommt. Ich spürte die Tränen, die sich hinter meinen Augen gesammelt hatten. Es wäre ein Leichtes, sie herauszulassen. Aber ich fühlte mich meistens schwach, wenn ich weinen musste, und ich fühlte mich schon ohne Tränen schwach genug.
    Schwäche. Er glaubte, ich sei schwach, weil ich mich heute so verhalten hatte. Vielleicht wäre es besser, überhaupt nicht zu antworten. Ein selbstherrlicher Typ wie er – wahrscheinlich würde ihn das mehr ärgern als alles andere.
    Es sei denn, er würde meine Stille als ein weiteres Zeichen der Schwäche interpretieren.
    Ich verschränkte die Finger hinter dem Kopf und sank gegen die Rücklehne des Stuhls. Meine Antwort musste einfach sein, tiefgründig, aber vollkommen emotionslos.
    Ich begann von Neuem.
    Jeremy,
    du bist ein Blödmann.
    Carmen
    PS Dir auch viel Glück.
    Viel besser. Ehe ich es mir anders überlegen konnte, drückte ich schnell auf Senden. Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter. Hatte ich das wirklich gerade gemacht? Das sah mir so ganz und gar nicht ähnlich.
    Es war nicht daran zu denken, dass ich jetzt ins Bett ging. Nur eine Kombination aus Hypnose und einer Handvoll Beruhigungsmittel würde mir bei meinem Zustand helfen abzuschalten. Stattdessen schlich ich mich auf Zehenspitzen in mein Studio. Es stellte sich heraus, dass die Zehenspitzen ganz unnötig waren, denn vom Treppenabsatz aus hörte ich Clarks Schnarchen – sein übliches, halb ersticktes gutturales Grunzfest –, was bedeutete, dass Diana ihre Ohrstöpsel trug.
    Mein Geigenkasten wartete in der Mitte des Zimmers gegen den Notenständer gelehnt auf dem Boden. Nur der Mond spendete etwas Licht. Ich hockte mich hin, öffnete den Koffer und begann mit dem Vorbereitungsritual: Zuerst öffnete ich den Klettverschluss der Schulterstütze und brachte sie an, dann drehte ich an der Schraube des Bogens, um das Pferdehaar zu spannen.
    Das Licht war gerade hell genug, um sich auf der Violine zu spiegeln. Das bernsteinfarbene Holz beschrieb anmutige Bögen und Spitzen. Jahrhunderte des Spielens hatten die Maserung dunkel werden lassen. Es war immer noch schwer zu glauben, dass sie wirklich mir gehörte.
    Sie hatten sie mir gekauft. Die Glenns. Dazu war mein Vater gut. Geld. Lange Jahre meines Lebens war ich nichts als ein irritierendes Detail für Thomas und Dorothy Glenn gewesen, die gehofft hatten, dass ich irgendwann von der Bildfläche verschwinden würde, wenn sie mich lange genug ignorierten. Ich war das unglückselige Nebenprodukt einer Affäre ihres Playboy-Sohnes mit irgendeiner Opernsängerin, die ausgerechnet katholisch genug war, keine Abtreibung zu wollen, oder vielleicht hinter dem Geld ihres Sohnes her war. Jedenfalls dachten sie so, wenn man Diana Glauben schenken konnte.
    Aber dann wurde ich sechzehn und alles passierte ganz schnell, zu schnell, als dass ich es hätte analysieren und verstehen können. Ich gewann einen Grammy für das beste Klassikalbum und eine Woche später prangte mein Gesicht auf dem Cover des Time Magazines mit der Schlagzeile »Virtuoses Amerika«. Gleich anschließend wurde ich für Vanity Fair interviewt und fotografiert. Und an diesem Punkt rief mich Dorothy Glenn an und gratulierte
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