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Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Virtuosity - Liebe um jeden Preis

Titel: Virtuosity - Liebe um jeden Preis
Autoren: Jessica Martinez
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war nicht besonders religiös, es sei denn, es zählte, dass ich zur Kirche ging, wenn Nonna an Weihnachten und Ostern aus Mailand zu Besuch kam. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt an Gott glaubte. Andererseits glaubte ich auch nicht ausdrücklich nicht an ihn und es schien mir daher schlau, auf Nummer sicher zu gehen.
    Bestimmte grässliche Situationen brachten die Katholikin in mir zum Vorschein, die unter mehreren Bewusstseinsschichten verborgen war, und der Guarneri-Wettbewerb war der Inbegriff alles Grässlichen. Das Problem war, dass ich nicht genau um das bitten konnte, was ich wollte. Falls es wirklich einen Gott gab, hielt ich es für ausgesprochen unwahrscheinlich, dass er mir, die ich alles andere als strenggläubig war, genau das gewährte, worum ich ihn bat. Es schien respektvoller und realistischer, gar nicht erst darauf zu hoffen, den Wettbewerb zu gewinnen, und stattdessen auf eine Verletzung zu setzen. Bitte, lieber Gott, mach, dass ich mir den Arm breche. Ein netter, unkomplizierter Bruch, der nur ganz abheilt, wenn ich für ein paar Monate einen Gips von der Schulter bis zum Handgelenk trage. Amen.
    Dann sagte ich noch ein Vaterunser, beziehungsweise, das, woran ich mich noch erinnern konnte, um meine Bitte irgendwie offizieller zu machen. Würde Gott mich dafür bestrafen, dass ich mich nicht vollständig an den Wortlaut erinnern konnte, obwohl er mir vor vielen Jahren von meiner italienischen Großmutter beigebracht worden war, die kaum Englisch sprach? Vielleicht. Ich wusste es nicht.
    Allerdings wusste ich ganz genau, dass mich nur Gott, falls er tatsächlich existieren sollte, vor dem Guarneri-Wettbewerb retten konnte. Vor vier Jahren hatte ich während des abschließenden Galakonzertes im Publikum gesessen und gewusst, dass ich meine eigene Zukunft vor mir hatte. Diana hatte einen alten Freund der Symphony bezirzt, der uns zwei Plätze in der achten Reihe besorgt hatte. Zu weit vorn für eine wirklich gute Akustik, aber perfekt für einen unverstellten Blick auf die Bühne. Das Licht der Bühnenscheinwerfer ließ den Schweiß auf den Gesichtern der Violinisten glänzen. Zuweilen schlossen sie die Augen, um sich zu konzentrieren, aber wenn sie sie wieder öffneten, sah man in ihnen die ganze Intensität der Musik. Jede Regung – Begeisterung, Wut, Trauer, Liebe – wurde durch die Spots auf der Bühne verstärkt. Eigentlich hätte ich ihre Technik studieren sollen, aber ich musste ihnen immer wieder in die Gesichter sehen.
    Drei Finalisten hatten ihre Konzerte mit dem Chicago Symphony Orchestra gespielt, dann zogen sich die Juroren zur Beratung zurück. Das Publikum wartete. Und wartete. Fünfundvierzig Minuten lang mischte sich Diana unter die wichtigen Leute und machte Smalltalk, während ich das Programm mit schwitzenden Händen verdrehte und jeden anzulächeln versuchte, der mir zum millionsten Mal sagte, wie ähnlich ich meiner Mutter sähe. Wie schafften sie es bloß, in diesem Augenblick Kontakte zu knüpfen. Waren sie denn gar nicht nervös?
    Als der Gewinner endlich verkündet wurde, weinte ich. Ich konnte einfach nicht anders. Glücklicherweise war der Applaus stürmisch und es gelang mir, den Schluchzer, der sich in meiner Kehle geformt hatte, zu unterdrücken. Ich weinte nicht aus Rührung für den Gewinner, oder weil mir die anderen beiden leidtaten, die mit Plastiklächeln über gebrochenen Mienen auf der Bühne standen.
    Nein, ich weinte, weil ich wusste, dass ich beim nächsten Mal dabei sein müsste.
    Aber damals war ich noch ein Niemand gewesen. Ein dreizehnjähriges Wunderkind, die es wie Sand am Meer gab. Jede Stadt auf der ganzen Welt hat einen besten jungen Geiger und nach ungefähr fünf Jahren brauchen sie wieder einen neuen. Musische Wunderkinder enden fast immer als enttäuschte Profis. Man findet sie in jedem Symphonieorchester.
    Der Guarneri-Preis ist einer der besten im Feld der klassischen Musik. 50.000 Dollar, eine vierjährige Leihgabe der Guarneri-del-Gesù-Geige aus dem Jahr 1742 und die Möglichkeit, mit den be­kann­testen Symphonieorchestern auf der ganzen Welt zu spielen. Die meisten Violinisten würden für die Guarneri-Geige und das Geld über Leichen gehen, aber mir bedeuteten die Auftritte am meisten.
    Juri hatte recht. Das hatte er immer, trotz seines ausgeprägten ukrainischen Akzents und der eigenwilligen Satzstellung. » Das ist wichtigster«, hatte er zu mir am Ende meiner letzten Stunde gesagt, als ich meine Geige eingepackt
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