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Violette Bescherung

Violette Bescherung

Titel: Violette Bescherung
Autoren: Judith Hueller
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Krysztof wieder in die Spur. Kein Streit unterm Baum. Der Rest bleibt wie besprochen. Dann bis morgen früh um acht.«
    Ende der Durchsage. Achtundneunzig, neunundneunzig, hundert. Jule stoppte die Zählerei und hob ihren pochenden Schädel vom Flügel. Ewas Knopfaugen funkelten wie nach einer Heldentat. Dazu glühten ihre Ohren. Bei der Lügerei kein Wunder.
    »Na bravo, Fräulein.« Jule stöhnte. »Du bist echt der Knaller.«
    »Wieso?« Ewa versenkte ihr Handy in der Hosentasche.
    »Wieso? Ey, mir drückst du permanent Predigten rein, wie sehr du Lügen verteufelst. Und du? Schwindelst die arme Maus zu bis zum Rand.«
    »Paulina ist fünf und es geht um Weihnachten.«
    »Na und?«
    »In diesem Alter glaubt sie noch an Feen, Einhörner und Zauberei und eben an den Weihnachtsmann.«
    »Den hat Coca Cola verbrochen.«
    Ewa verdrehte die Augen. »Das kannst du einem Kind nicht erklären.«
    »Sie ist doch nicht doof!«, rutschte es Jule unbeabsichtigt laut heraus. »Für Weihnachten gibt es klare Regeln. 24. Dezember, jedes Jahr. Punkt. Wir haben Mai. Draußen blühen die Bäume und wir tragen T-Shirts und …«
    »Und? Das Wetter ist kein Argument. In Australien feiern die immer Weihnachten trotz der Affenhitze und hey, ich habe Paulina keinen Schnee versprochen.«
    »Alles andere meinst du ernst?« Jule riss die Augen auf. Witz komm raus. Ich weiß, dass du da irgendwo bist, du mickriger Wurm.
    »Sie will Weihnachten, wir feiern Weihnachten.«
    »Bei aller Liebe, Ewa: Das ist mit kilometerweitem Abstand die hirnverbrannteste Idee, die ich jemals gehört habe. Außerdem ist diese Nummer pädagogisch unter aller Sau. Das Leben läuft nun mal nicht so, wie es Kinder gerne hätten. Scheiße, ja, aber das nennt man Realität. Geburtstag gibt es auch nicht doppelt. Paulina wird uns so dermaßen die Hucke vollheulen, wenn sie begreift, dass du sie mit deinem Lügentheater nur herlocken wolltest.«
    »Schön.« Ewa zückte erneut das Telefon und hielt es Jule unter die Nase. »Wenn du Realität willst, ruf sie an und sag ihr ab. Deine Entscheidung.«
    »Äh …« Jule schluckte schwer.
    »Ruf sie an.« Ewas Stimme blieb ruhig. »Mach es wie Krysztof und hau ihr hin, dass Weihnachten ausfällt. Los.«
    »Ich … äh.« Hitze schoss in Jules Kopf. »Ich … äh … Ewa, ich kann so was nicht.«
    »Prima.« Ewa schlüpfte strahlend in ihre Flip-Flops. »Mir zerreißt es auch das Herz. Deshalb ziehen wir das jetzt durch. Wäre doch gelacht. Du, ich renn los und besorge ein paar von diesen Pferden. Shit. Das wird knapp. Kaufst du währenddessen ein?«
    »Äh … was konkret?«
    »Nichts Wildes.« Stürmisch presste Ewa ihr einen Kuss auf die Lippen. »Nur das Übliche für Weihnachten. Bis gleich.«
    Rums, schon fiel die Wohnungstür ins Schloss und Jule krachte nervlich in sich zusammen.

Freitag, 19:52 Uhr

    Was eine Scheiße! So sehr sich Jule auch bemühte, der Satz machte sich in ihrem schmerzenden Kopf breit. Zwei schnatternde Teenagermädels sausten auf Inlinern an ihr vorbei, die T-Shirts flatternd im Fahrtwind, während Jule im Stechschritt den Supermarkt anpeilte. Schweiß perlte ihr auf der Stirn. In ihrem Hirn redeten Dutzende von Stimmen durcheinander wie bei einer Parteisitzung zum Thema Energiewende.
    Du musst aus dieser Nummer aussteigen, Schweitzer!
    Aber wie?
    Frag nach Spekulatius und die weisen dich ein.
    Du brauchst einen Baum. Einen Baum!
    Der Supermarkt hat keine Bäume.
    Lauf, Jule, lauf. Die machen gleich zu.
    Dominosteine findest du nie und nimmer.
    Pfeif auf das pappsüße Zeug. Betrink dich lieber mit Glühwein.
    Den such mal, im Mai.
    Kacke. Lebkuchensehnsucht bei gefühlten dreißig Grad war schlicht und ergreifend keine Emotion, die Jule glaubhaft vortäuschen konnte. Ein komplettes Wochenende mit Knirps war Sport genug. Wieso weiteten sie diesen Ritt nun zum Zehnkampf aus? Grütze war das. Sie musste diesen Zirkus irgendwie stoppen. ›Weihnachten fällt aus.‹ Dieser Satz war zugegeben echt ein Brett für ein hoffend pochendes Kinderherz. Paulina, wir haben unser Fest spontan auf den 24. Dezember verschoben. Du, das ist viel sinniger, weil … weil … Schlittenpanne. Der Weihnachtsmann war verhindert, sorry. Dreck, verdammter. Warum zum Henker hatte sich Paulina kein anderes Fest ausgesucht? Zum Beispiel … Ostern. Hey, kein Ding. Eier gab es und Gras lag rum. Halloween wäre auch kein Act gewesen. Einfach keine morgendliche Restaurierung im Bad, dazu verwischter Lippenstift und der
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