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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
Autoren: Marion Schreiner
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gelungen.
Seitdem weiß ich, dass Unfälle manchmal passieren, bei denen Menschen sterben. Großvater hat es mir genau erklärt. Das ist die Realität, sagte er.
Ich ließ das Bild am offenen Fenster trocknen und wollte es gerade aufhängen, als Brad in mein Zimmer kam. Er setzte sich auf mein Bett und sagte: „Chris, ich muss mit dir reden.“
„Wo ist Großvater?“, fragte ich.
„Weg.“
Ich legte das Bild traurig auf meinen Schreibtisch und setzte mich zu Brad aufs Bett. Der sah überhaupt nicht gut aus.
„Weg?“, fragte ich. „Warum?“
Brad erklärte mir: „Der Tag war lang, und er war müde. Großvater Ben ist ein alter Mann.“
Das verstand ich. Nur schade, dass er sich nicht verabschiedet hatte.
„Ich muss mit dir reden“, sagte Brad.
„Okay“, sagte ich, „rede.“
„Deiner Mutter geht es nicht so gut.“ Er sah dabei an die Wand, anstatt zu mir.
„Ist sie krank?“, fragte ich.
„Ja … nein. Nicht so, wie du denkst. Sie macht sich große Sorgen um dich.“
Sorgen? War das nicht ein Wort, das Menschen benutzen, die sich lieben? Also fragte ich: „Welche Sorgen?“
Jetzt sah mich Brad an und nahm meine Hand. Ach herrjeh, ich zog sie sofort wieder zurück. Wenn das meine Mutter sehen würde! Sie würde Brad umbringen!
Doch Brad sah mich komisch an. „Was ist los?“, fragte er.
„Geht nicht“, flüsterte ich.
Er nickte und ließ die Situation so.
Ich wartete, dass er weiterredete. Das wollte er doch schließlich: reden. Doch das tat er nicht mehr. Ich dachte, dass ihn die Berührung auch sehr erschrocken haben musste. Er musste sich doch schützen.
Dass die Menschen, die mit meiner Mutter zusammen sind sterben, wusste ich ja. Besonders die, die ich mochte. So, wie meinen Vater. Also waren Brad und ich uns einig, und wir schwiegen gemeinsam.
„Was macht Ihr da?“, fragte meine Mutter auf einmal. Sie war ganz leise in mein Zimmer gekommen. Hoffentlich hatte sie nichts gesehen. Sie sah auf mein Bild, und ich wollte es ihr voller Stolz noch einmal zeigen. Diesmal hatte ich keine schreienden Gesichter gemalt. Doch sie nahm das Bild in die Hand und zertrampelte es! Brad wollte dazwischengehen und es retten, aber es war zu spät. Ich schrie wie eine Sirene. Ich höre heute noch das Reißen des Papiers und das Brechen des Holzrahmens!
Sie knallte mir eine ins Gesicht. Brad hielt sie fest und zerrte sie aus dem Zimmer. Ich sah das zerstörte Bild auf dem Boden und malte ein neues Bild auf Papier. Es war wieder ein schreiendes Gesicht geworden. Diesmal mit Ölfarbe. Ich war stolz und hing es mit Reißnägeln auf.
Meine Bilder wurden immer besser.  
    Als ich mal nachmittags aufs Klo ging, da hörte ich unten, wie Brad mit meiner Mutter am Küchentisch sprach.
Brad sagte: „Du brauchst Hilfe.“
Ich überlegte, ob sie das Putzen oder den Gemüsegarten nicht mehr schaffte. Kein Problem, das konnte ich auch übernehmen.
Brad sagte weiter: „Auch Chris braucht Hilfe.“
Jetzt überlegte ich. Ich war doch gut in der Schule, hielt still, ließ meinen Penis von niemandem mehr anfassen und malte nicht mehr mit Schwarz. Ich machte meine Hausaufgaben, duschte jeden Tag, räumte mein Zimmer auf und räumte immer mein Geschirr in die Maschine. Ich fuhr mit meiner Mutter einkaufen und sagte ihr nie, niemals, ein böses Wort. Wobei in Gottes Namen brauchte ich Hilfe?
Ich hörte meine Mutter unten weinen.
Brad sagte: „Du schaffst das nicht.“
Sie weinte weiter.
Brad sagte: „Chris ist so ein guter Junge.“
Das ging mir runter wie Honig. In dem Moment beschloss ich, Brad wirklich zu lieben.
Ich hörte weiter: „Du musst lernen ihn zu verstehen. Seine Bilder müssen unbedingt einem Psychologen gezeigt werden.“
Jetzt liebte ich ihn noch mehr. Er wollte meine Bilder wirklich jemandem zeigen! Was oder wer auch immer ein Psychologe war, es hörte sich unglaublich gut an. Vielleicht bekäme ich bald eine eigene Ausstellung. Ich wusste, dass es so etwas von guten Malern gab. Also war ich wirklich gut.
Ich ging zum Klo und sah mir meinen Penis an, wickelte ihn in Klopapier und pinkelte. Dabei dachte ich an Billy. Wir hatten uns seit einem Jahr nicht mehr gesehen. In der neuen Schule hatte ich keinen Freund mehr wie Billy.
    Als ich in der neuen Schule meinen ersten Schultag hatte, hörte ich wieder, wie alle sagten: „Ach, dieser Gelton.“ Niemand kam mir zu nahe. Meine Noten waren aber auch wirklich gut. Sie hatten wohl Angst vor meiner Klugheit. Den Stoff, den die Lehrer in der Schule lehrten, ging wie Honig
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