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Verzeihung, sind Sie mein Koerper

Verzeihung, sind Sie mein Koerper

Titel: Verzeihung, sind Sie mein Koerper
Autoren: Christl Lieben
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Suchprozess nach dieser Formulierung braucht, ersparen wir uns anschließend in der Aufstellung.
    Ich gehe davon aus, dass wir alle die Antworten auf unsere Fragen in uns tragen. C. G. Jung hat diese Tatsache in den Begriff des »Kollektiven Unbewussten« gekleidet. Während wir uns auf den Suchprozess einlassen, richtet sich unser Bewusstsein wie ein Scheinwerferkegel auf unser ruhendes Wissen und wählt diejenigen Informationen aus, die zu dem Thema gehören. Das erklärt auch, warum in Aufstellungen oft nur ganz bestimmte Aspekte eines Menschen oder einer Situation zur Sprache kommen. Es sind die Informationen, die zum Anliegen gehören. Stellt derselbe Mensch eine andere Frage, ergibt das ein anderes Informationsgebilde, selbst wenn dieselben Positionen im Raum stehen.
    Aus diesen Gründen ist mir die Präzision des Themas ein zentrales Anliegen. Dabei muss die endgültige Formulierung ausschließlich von der Klientin kommen. Wir können Vorschläge machen, damit sie ihre Spur findet, aber mehr nicht, denn die Kraft der eigenen Worte wirkt in die Aufstellung hinein.
    Ich habe hier eine Interview-Situation geschildert, die oft – aber nicht immer – vorkommt. Es gibt auch Klientinnen, die nur eine vage Vorstellung haben von ihrem Anliegen oder die mehrere Anliegen gleichzeitig bedienen wollen, also scheinbar richtungslos sind. Trotzdem wissen sie, dass sie heute und hier in diesem Seminar mit diesem Thema richtig sind. Dann gehören sie auch hierher. Klientinnen, die sich auf kein Thema festlegen, kann man damit trösten, dass unser inneres System einem Puzzle gleicht, das sich aus vielen Teilen zusammensetzt
und wenn ein Aspekt dieses Systems eine Antwort bekommen hat, dann wirkt das ins ganze System hinein.
    Den vagen Anliegen widme ich mich erst gegen Ende des Seminars, weil sich sehr oft durch die Erfahrung der anderen Aufstellungen das eigene Thema zu klären beginnt. Wenn das nicht der Fall ist, dann bitte ich meine Klientin im Gespräch, ihren Körper spüren und auswählen zu lassen. So eine Gesprächssequenz fordert auch uns als Fragende heraus.
    Folgendes gilt für unsere ganze Arbeit, speziell auch für unsere Gesprächsführung: Wir sind mit allen Sinnesorganen bei dem anderen. Wir hören nicht nur die Worte, sondern auch den Stimmduktus und die Stimmqualität. Sitzt die Stimme nur in der Kehle, ist sie gepresst, rau, unsicher, kindlich, vage oder ist sie gut und ruhig im Körper verortet und hat damit einen tragenden Klang? Wir sehen die Gestik: Ist sie fahrig, eckig, gar nicht vorhanden oder ruhig und natürlich? Wir nehmen den Muskeltonus in Körper und Gesicht wahr: Fällt das Gewebe in sich zusammen oder wirkt es wie von innen getragen? Wir betrachten die Gesichtsfarbe und – sehr wichtig – beobachten den Atem. Ist der Atem flach und schnell, sitzt er oben unter den Schlüsselbeinen oder geht er langsam und ruhig und sitzt tiefer im Körper? Das alles kann schnell wechseln und ist immer in Verbindung mit dem, was die Klientin berichtet, gemeinsam wahrzunehmen. Wir spüren die wechselnde Atmosphäre im Raum: gespannt, schwer, befreit, fallend oder steigend.
    Und wenn wir alle Antennen ausfahren, dann bekommen wir auch atmosphärische Informationen aus dem Raum, die wir nicht benennen können, die aber oft entscheidend für ein Gesamtbild sind.
    Das alles klingt endlos kompliziert, ist es aber nicht. Viele Menschen nehmen alles von mir Benannte längst und ganz selbstverständlich wahr. Ich schreibe es hier nur auf, damit
man es sich in Erinnerung rufen kann, wenn man es braucht. Der einfachste Weg, sich für unsere Gesprächspartner zu öffnen, ist, das eigene Herz ganz weit zu machen, so weit, dass es zu einem Raum wird, in dem wir selbst und die anderen Platz haben. Dann geschieht alles von alleine, weil wir in unserer Wahrnehmung von unserem eigentlichen Inneren geleitet werden.
    Ich kehre zurück zu den Klientinnen mit vagen Anliegen. Diese Unklarheit könnte verschiedene Hintergründe haben. Vielleicht betritt die Klientin zum ersten Mal die »Psychoszene«. Oder sie ist geschickt worden – eine, die sucht, aber nicht weiß, was sie sucht. In so einem Fall ist es gut, das Thema im Gespräch erst einmal behutsam einzugrenzen. Vielleicht ergibt sich ein Ausschnitt aus einem Ganzen, der durch das Gespräch so konkret wie möglich werden kann. Wenn schlüssig scheinende
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