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Verzeihung, sind Sie mein Koerper

Verzeihung, sind Sie mein Koerper

Titel: Verzeihung, sind Sie mein Koerper
Autoren: Christl Lieben
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das Bewusstsein der Klientin schlagen. Es würde wie ein Urteil, unheilbar zu sein, wirken. An dieser wunden Stelle verliert das Seelensystem der Klientin in der Folge Kraft, weil es dort wie aufgerissen bleibt. Wenn hingegen die augenblickliche Schwierigkeit, zu einer Lösung zu kommen, oder die Existenz der »schuldhaften« Gestalt im System der Klientin angenommen und bejaht werden kann als das, was sie derzeit sind, dann beginnt genau an dieser Stelle Heilung auf vielen Ebenen. Ich sage »derzeit«, weil alles im Fluss ist und es keine endgültigen Seelenbilder gibt.
    Mich unterstützt bei dieser Haltung eine Zugangsweise, die ich im Lauf der Jahre gefunden habe. Sie macht Aufstellungsbegleitung auch in sehr schwierigen Fällen erträglich.
    Ich lasse mich am Anfang, noch vor dem Beginn der Arbeit, mit meinem Atem in die Tiefe meines Herzraumes sinken und begleite den Prozess von dort aus. Dort ruht jedes Menschenwissen um die Geborgenheit in der Liebe des Universums und um die daraus erwachsende mögliche Heilung. Als Symbol für diese Geborgenheit stelle ich in Krisensituationen während einer Aufstellung brennende Kerzen in den Raum. Sie haben eine stärkende und beruhigende Wirkung und nehmen
mir auf diese Weise Arbeit ab. Auch lasse ich Lasten, die das innere System der Klientin von Vorfahren übernommen hat, an das heilende Licht zurückgeben, verbunden mit der Bitte, dass sich die Last dort auflösen möge. Es wirkt.
    Wenn schließlich ein Inhalt aus der Vergangenheit auftaucht, der möglicherweise eine enorme Wucht hat, dann kann dieser Inhalt, umrahmt vom Licht, seinen ersten Platz im Seelenhaushalt meiner Klientin finden. Selbst wenn sie diesen Inhalt noch nicht ganz begreift, so ist er nicht mehr verdrängt und damit beginnt Heilung. Wir müssen die Dunkelheiten, die auftauchen, nicht bis ins Letzte analysieren, sondern nach einer grundsätzlichen Begegnung das Innersystem der Klientin davon befreien. Es kostet uns Menschen eine nicht zu beschreibende Anstrengung, diese Dunkelheiten »draußen« zu halten. Wenn das System befreit ist, kann dieselbe Kraft, die bisher der Verdrängung gedient hat, in die Heilung fließen.
    Alles bisher Gesagte gilt natürlich auch für Körperthemen. Auf dem Gebiet der Körperaufstellungen habe ich für mich Wesentliches gelernt durch meine Beobachtungen und Erfahrungen in der Arbeit mit geistig und körperlich schwer behinderten Menschen. Wie wir später noch sehen werden, ist bei diesen Menschen meiner Ansicht nach der Ich-Kern nicht entsprechend vorhanden, hingegen ist das »freie Bewusstsein« von einer wunderbaren Klarheit. Siegfried Essen würde es wahrscheinlich das »Selbst« nennen. Der Bewusstseinsanteil, der mit dem Körper identifiziert ist – ich habe ihn das »gebundene Bewusstsein« genannt – hat zu dieser Klarheit keinen Kontakt. Eine Verbindung dieser beiden Bewusstseinsebenen schafft erst einmal Erkenntnis über das eigene Leben und das eigene Schicksal. Bei behinderten Menschen schmerzt dieses Erkennen in einem Ausmaß, das die Tragfähigkeit des inneren Systems völlig überfordert. Die Verarbeitungsebene des Ich fehlt, wie schon gesagt, weitgehend. Daher ist die Arbeit mit
diesen Menschen eine Gratwanderung. Es geht darum, in kleinsten Schritten das schmerzende Erkennen zuzulassen und sie gleichzeitig mitzunehmen an einen inneren Ort, wo sie Schutz und Beruhigung finden. Ihr Entwicklungsweg ist eine Millimeterbewegung (siehe das Kapitel Arbeit im Grenzbereich Behinderung , S. 100ff.). Aber für diese Menschen sind Millimeter eine Rennbahn, denn sie sind jahrzehntelang gezwungenermaßen stillgestanden. Bei Menschen mit einem vorhandenen Ich-Kern und der Fähigkeit zu reflektieren ist das anders, das Ziel bleibt jedoch dasselbe: die möglichst weitgehende Integration von freiem und gebundenem Bewusstsein im Sinne einer heilenden Ganzheit. Im letzten Kapitel des ersten Teils über die Formate von Aufstellungen wird Folgendes deutlicher werden: Es ist immer ein Fokus, also eine Repräsentanz, für den Ich-Kern mit im Spiel, und die dazugestellten, variierenden anderen Positionen umschreiben das Anliegen und differenzieren es aus.
    Im Unterschied dazu werden in der Arbeit mit Behinderten schlicht zwei Foki – frei und gebunden – gemeinsam mit ganz sparsamen weiteren Angeboten aufgestellt. Welches Format auch immer wir wählen,
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