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Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)

Titel: Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
Autoren: Helmut Schmidt , Giovanni di Lorenzo
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nur knapp über dem Existenzminimum liegt.
    Das Existenzminimum ist, ebenso wie die sogenannte Armutsgrenze, eine relative Größe. All diese Begriffe orientieren sich am Durchschnitt der Gesamtgesellschaft. Wenn der Durchschnitt steigt, dann steigt automatisch auch die Armutsgrenze. Natürlich gibt es arme Leute, die von einer kleinen Rente leben müssen. Das hat aber damit zu tun, dass sie vorher nur geringe Beiträge eingezahlt haben.
    Oder keine Zusatzversicherung abgeschlossen haben.
    Wenn jemand sein Leben lang gearbeitet und in die staatliche Rentenversicherung eingezahlt hat, ist die Rente auskömmlich.
    Zahlen die Gutverdienenden und Vermögenden in diesem Land genug Steuern?
    Es gibt ganz gewiss sehr viele Menschen in Deutschland, die ein hohes Einkommen haben oder über ein beträchtliches Vermögen verfügen und nicht genug zahlen, weil sie ihr Geld geschickt und nicht notwendigerweise gesetzwidrig in Steueroasen angelegt haben.
    Finden Sie, dass die Steuersätze für Spitzenverdiener angemessen hoch sind?
    Sie können durchaus erhöht werden; vor allem aber sollte die Vermögensteuer wiederhergestellt werden.
    Sie finden es gerecht, dass Ihre Partei den Spitzensteuersatz von 42 auf 49 Prozent erhöhen will?
    Steuersätze sind Tagespolitik, dazu will ich mich nicht äußern.
    Wären Sie bereit, vorübergehend höhere Steuern zu bezahlen?
    Ich bin bereit, die Steuern zu zahlen, die der Staat mir auferlegt. Das eigentliche Problem liegt woanders: Es gibt zu viele schlechte Vorbilder. Das schlimmste Beispiel sind Finanz- und Bankmanager; über die regt sich das Publikum zu Recht auf. Wie heißen diese Jungs, die da in Manhattan die Investmenthäuser belagern?
    Occupy.
    Occupy, ja. Deren Protest kann ich sehr gut nachvollziehen. Und die politisch verantwortlichen Abgeordneten sollten diese Bewegung ernst nehmen. Hinter dem Protest von Occupy steckt zwar auch ein Neidkomplex, auch wenn die das selbst nicht gern zugeben werden.
    Aber es wären auch hehrere Motive denkbar …
    Neid ist eine ganz normale menschliche Eigenschaft. Natürlich spielen bei Occupy idealistische Motive eine große Rolle; es ist eine Gemengelage. Insgesamt haben diese Leute meine Sympathie.
    Müssen denn die Vermögenden in schwierigen Zeiten stärker zur Kasse gebeten werden?
    Solange das Vermögen produktiv arbeitet, weil es zum Beispiel in einer Maschinenbaufirma steckt, die 250 Menschen beschäftigt, dann ist das eine andere Sache, als wenn jemand sein Vermögen in Finanzpapieren angelegt hat. Beides würde ich unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit, aber auch der ökonomischen Vernunft sehr verschieden bewerten: Das Finanzvermögen sollte stärker besteuert werden als das Betriebsvermögen. Das aber würde bedeuten, dass man untersuchen muss, wie ein Vermögen angelegt ist – was die Sache noch komplizierter machen würde. Ich habe einen Horror vor der immer komplizierter werdenden Steuergesetzgebung!
    Das ist auch ein Argument gegen die Vermögensteuer: dass der bürokratische Aufwand enorm sei, der Ertrag aber gering.
    Ja. Trotzdem habe ich die Abschaffung der Vermögensteuer für unvernünftig gehalten.
    Einen Großteil der Steuerlast tragen die kleinen Leute, indem sie Umsatz- und Verbrauchsteuern entrichten. Finden Sie das gerecht?
    Alle Staaten der Welt finanzieren sich zwangsläufig immer mehr über indirekte Steuern. Ob Sie nach China gucken, nach Amerika oder nach Deutschland, die Entwicklung verläuft überall ähnlich. Selbst jemand, der von Sozialhilfe lebt, muss Umsatzsteuer bezahlen, wenn er ein Brot kauft oder eine Wurst.
    Und wenn er raucht, zahlt er noch viel mehr Steuern. Eine Finanztransaktionssteuer dagegen gibt es nicht.
    Richtig. Der Gärtner, der eine Pflanze in seinem Gewächshaus gezogen hat, zahlt Mehrwertsteuer, wenn er die Pflanze auf dem Hamburger Großmarkt an einen Einzelhändler aus Fuhlsbüttel verkauft. Dessen Kunde, nämlich der Endverbraucher, muss diese Mehrwertsteuer übernehmen und zahlt zusätzliche Mehrwertsteuer. Wenn aber eine Bank ein sogenanntes Finanzprodukt verkauft, zahlt niemand eine Mehrwertsteuer. Das ist ein Konstruktionsfehler, der aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammt.
    Was spricht dagegen, diesen Konstruktionsfehler politisch zu beheben?
    Eine Mehrwertbesteuerung würde für die Geschäfte der Banken komplizierte Vorschriften und Überwachungsverfahren notwendig machen. Gleichwohl halte ich es für dringend geboten, die Banken in gleicher Weise wie alle
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