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Verschwörung in Florenz

Verschwörung in Florenz

Titel: Verschwörung in Florenz
Autoren: Franziska Wulf
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in eine wärmende Decke.
    Die nächste Begebenheit, die ihr wieder klar und deutlich im Gedächtnis haften geblieben war, war der Tod Ludmillas, der Magd. Anne hatte auf der Treppe gestanden. Es war dunkel und still im Haus gewesen, es musste wohl in der Nacht gewesen sein. Sie hatte nicht gewusst, weshalb sie aufgestanden war, warum sie ihr Zimmer verlassen und die Treppe hochgestiegen war. Nur die Nachtlampen an den Wänden schimmerten ein wenig. Doch das Licht reichte aus, um den Körper deutlich zu erkennen, der vom obersten Treppengeländer herabbaumelte. Anne konnte nicht sagen, weshalb sie sofort wusste, dass es Ludmilla war. Vielleicht lag es an dem dicken Zopf, der an der Seite der Frau herabbaumelte wie eine leblose Schlange. Sie hatte sich an einem jener Seile erhängt, die für gewöhnlich zum Zusammenbinden der Weinfässer gebraucht wurden, wenn sie auf den Wagen verladen wurden. Es war ein langes Seil. Die Magd war tief gestürzt, und ihr Körper hatte sich immer noch langsam von rechts nach links und von links nach rechts gedreht. Und noch während Anne sich sagte, dass sie etwas tun müsse, irgendetwas, jemanden zu Hilfe rufen zum Beispiel, war sie wieder in den Nebel abgetaucht.
    Als Nächstes fand sie sich vor einer bemalten Wand mitten auf der Straße wieder. Doch das Gemälde, das sie betrachtete, war keines der üblichen Graffiti, die Häuserwände verschandelten. Es war ein Meisterwerk, obwohl es überhaupt nicht schön, sondern entsetzlich war. Es trug die unverwechselbare Handschrift Botticellis und stellte die detailgetreuen Gesichter von erhängten und geköpften Männern dar. Unter jedem von ihnen stand ein Name – Francesco, Salvatore, Giulio. Es waren ausnahmslos Pazzi. Doch die Wand war noch nicht vollständig bemalt. Neben dem letzten Gesicht hatte eine unbekannte Hand mit Kohle »Hier ist noch Platz für Giacomo de Pazzi. Tod den Mördern« geschrieben. Anne war schlecht geworden, und sie hatte sich mitten auf der Straße übergeben. Ein starker Arm hatte sie gehalten. Doch wer es gewesen war, wer sie zu diesem schrecklichen Gemälde, dem Zeugnis der Ereignisse, die Florenz in diesen Tagen erschüttert hatten, geführt hatte, vermochte sie nicht zu sagen. Noch bevor sie sich umdrehen konnte, war ihr Verstand auch schon wieder in das eintönige Grau abgeglitten, das so wohltuend war, denn es bedeutete, dass sie nichts mehr sehen, nichts mehr hören oder fühlen und nicht mehr denken musste.
    Der Geist und die Dunkelheit
    »Herr, es wird keinen Sinn haben. Sie nimmt ihre Umgebung doch gar nicht wahr«, hörte Anne eine weibliche Stimme sagen. »Und weshalb sollte sie dorthin? Ausgerechnet zu diesen Menschen? Welchen Zweck soll es haben, dieses arme Geschöpf noch mehr zu quälen?«
    »Ich weiß, Matilda«, antwortete ein Mann. Beim Klang seiner Stimme durchzuckte Anne ein freudiger Schreck, und sie schlug die Augen auf. Giuliano! Hier mitten in ihrem Zimmer stand Giuliano! Und wenn er hier bei ihr war, dann konnte er doch nicht tot sein, oder? »Ich habe mit dem Arzt gesprochen.« Annes Hoffnung sank in sich zusammen und ließ sie zurück wie ein Ballon, dem die Luft entwichen war. Die Stimme ähnelte der von Giuliano nur entfernt, mehr nicht. Sie war tiefer, rauer. Es war unverkennbar die Stimme von Lorenzo. »Er meinte, größeren Schaden könne man nicht anrichten, wenn sie der Einladung folgen würde. Im Gegenteil. In manchen Fällen, so sagte er wenigstens, hat man erstaunliche Erfolge durch die Konfrontation mit den schrecklichen Erinnerungen erzielt. Und wo können die Erinnerungen schrecklicher sein als im Hause derjenigen, an deren Händen Giulianos Blut klebt?« Lorenzos Stimme bekam einen bitteren Klang. »Du hast selbst gehört, was der Arzt gesagt hat. Bis zur Niederkunft wird es nicht mehr lange dauern. In ihrem derzeitigen Zustand jedoch kann sie kein Kind gebären. Wenn wir also das Leben von Giulianos Kind retten wollen, müssen wir sie aus ihrem seltsamen Schlaf aufwecken. Rasch. Dreimal ist der Schleier, der ihren Verstand verhüllt, bereits gerissen – in der Kapelle an der Bahre meines toten Bruders, im Angesicht des Selbstmords dieser Magd und vor den Porträts der hingerichteten Verschwörer. Sie ist zwar jedes Mal schon nach kurzer Zeit wieder in ihren Schlaf gesunken, aber sie war wach. Das zeigt mir, dass der Arzt Recht hat. Erschreckende Bilder und Ereignisse können sie wecken. Diesmal werde ich es mit dem Haus der Pazzi versuchen. Sie wird die Einladung
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