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Verschwiegene Schuld

Verschwiegene Schuld

Titel: Verschwiegene Schuld
Autoren: James Bacque
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allmählich ihr zivilisierender Genius. In der Befreiung der Kolonien, der Losspre chung der Feinde, der Waffenkontrolle,der freiwilligen Ein schränkung von Stellvertreterkriegen, der Einführung von Weltgesundheitsmaßnahmen, in der Nahrungsmittelproduktion, im internationalen Recht, in den Menschenrechten und auf Hunderte andere Weisen haben die westlichen Demokratien diesen Genius unter Beweis gestellt. Derselbe Geist war in der Sowjetunion in Heroen wie Sacharow, Solschenizyn und Pasternak lebendig, die an der Spitze der Bemühungen um die Auflösung des GULAG standen und die dem russischen Volk schließlich unter sehr geringem Blutvergießen die Freiheit brachten.
    Dieser Kampf wurde uns immer so dargestellt, als verkörperten »sie« das Böse und »wir« das Gute. Solschenizyn schrieb: »Der Strich, der das Gute vom Bösen trennt, durchkreuzt das Herz eines jeden Menschen .« 1  Der Kampf zwischen Verbrechen und Barmherzigkeit ist so gewaltig und zieht sich so lange hin, daß ich hier nur einige wenige herausragende Beispiele anführe, hauptsächlich auf westlicher Seite. Dies schien mir interessant, weil sich dort alles im geheimen abspielte, sowie auch lehrreich, weil es so überraschend kam. In den genannten Demokratien des Westens gelten ja die Ideale der Selbstbestimmung, der Barmherzigkeit gegenüber den Besiegten und der Freiheit der Rede als hochgeachtete und geschützte Werte. Doch sind diese Ideale oftmals verraten worden, und das geschieht bis heute.
    Eine weitere Überraschung war für mich die Entdeckung des krassen Gegensatzes zwischen unserer Selbstbeweihräucherung und den vorliegenden Beweisen, die diese Selbstbeweihräucherung doch eher unangemessen erscheinen lassen. Dies liegt jedoch nicht an einem Mangel an Handlungen, die unsere kollektiven Tugenden manifestierten, sondern vielmehr daran, daß wir denjenigen Tugenden zuschreiben, die sie nicht besitzen. Wir sind heldenhaften Führern in verhängnisvolle Kriege gefolgt und haben dabei diejenigen, die aus Güte handelten oder die Wahrheit schrieben, zumeist ignoriert. Indem wir falsche Götter schufen, schufen wir auch einen Gott der Falschheit. Wenn Wahrheit uns freimachen soll, müssen wir zuerst die Wahrheit befreien.
     
    Anmerkungen
     
    l  Alexander Solschenizyn,  Der Archipel GULAG,  Bd. l, S. 167  (zurück)

 
    Kapitel 6
     
    Ohne Ansehen der Schuld
     
    Den größten Teil meines Lebens habe ich kaum über die Mängel in unserem demokratischen System nachgedacht. Ich glaubte, daß alles mehr oder weniger seinen geordneten Gang nahm, bis ich auf die Verbrechen Eisenhowers und de Gaulles stieß. Sogar dann konnte ich mir nicht vorstellen, daß diese Verbrechen irgendeinen relevanten Bezug zu unserer heutigen Gesellschaft haben könnten, denn schließlich ereigneten sich diese vor fast einem halben Jahrhundert unter der ungeheuren Macht des vom Krieg erzeugten Hasses. Erst als ich Drew Middleton interviewte, einen Starreporter der New York Times, begann ich zu verstehen, wie so lange zurückliegende Ereignisse unser heutiges Leben beeinflussen. Ich berichtete Middleton 1988 in seinem New Yorker Büro von meiner Entdeckung, daß die französischen und amerikanischen Streitkräfte 1945 in Europa schier unvorstellbare Greueltaten begangen hätten. Da er 1945 Artikel verfaßt hatte, in denen er dies nach der Besichtigung von Kriegsgefangenenlagern in Europa bestritt, wollte ich sehen, wie er darauf reagierte.
    Middleton sagte: »Es überrascht mich nicht, daß Sie einige üble Dinge aus jener Zeit ausgraben konnten .« Dann gab er zu, daß er niemals ein Gefangenenlager von innen gesehen hatte. Er wollte mein Manuskript nicht lesen. Im Kern sagte Middleton, ja, er habe 1945 gelogen, und nein, es mache weder ihm noch der Times etwas aus, wenn ich dies an die Öffentlichkeit brächte.
    Middletons Gleichgültigkeit hat mich tief beeindruckt. Weder wollte er mein Manuskript lesen, noch drohte er mir mit einer Verleumdungsklage oder reichte eine solche ein, nachdem das Buch veröffentlicht war. Angesichts einer Enthüllung, die eigentlich eine Katastrophe für ihn hätte bedeuten sollen, blieb er ganz gelassen. Da begann ich zu verstehen: Die Times ist so mächtig, daß sie es gar nicht nötig hat, Leuten ihrerseits zu drohen, die ihr mit Bloßstellung drohen. Middletons Selbstsicherheit, sein Bewußtsein der Macht, die hinter der Times steht, nahmen mir den Atem. Und schlimmer noch: Middleton scherte sich überhaupt nicht um die
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