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Verschollen

Titel: Verschollen
Autoren: Åke Smedberg
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Hinsicht ein bisschen mehr Erfahrung habe als Sie? Außerdem kann ich Ihnen vielleicht einen Gefallen tun«, fuhr er fort. »Was weiß man schon, vielleicht haben Sie sich ja bereits eine Felswand auf dem Weg hierher ausgesucht, gegen die Sie knallen wollen? Um es dieses Mal richtig zu machen? Dann können wir es doch genauso gut hier schon erledigen, finden Sie nicht?«
    Er beschrieb mit dem Lauf Kreise und fingerte wieder am Abzug herum. Dann beugte er sich weit nach vorne und lächelte.
    »Sie kennen dieses Gefühl, nicht wahr? Dieses Verlangen, einfach zu verschwinden. Alles verschwinden zu lassen, sich einfach aufzulösen. Ich weiß, dass Sie das kennen. Aber sich nie richtig getraut haben. Mit dem Auto, das zählt nicht, finde ich. Das ist feige, das müssen Sie schon zugeben! Wäre es nicht schön, wenn man ein wenig Hilfe dabei bekäme? Wenn man nicht alles selbst machen muss, wenn man sich nicht entscheiden muss, um diesen letzten Schritt zu tun, der so verflucht schwer ist. Wäre das nicht schön?«
    Nielsen sah, wie Larsson den Finger fester um den Abzug spannte, und er spürte, wie ihm kalter Angstschweiß ausbrach, erst auf der Stirn, dann den Rücken hinunter und und in den Handflächen. Überall. Gleichzeitig überfiel ihn eine Müdigkeit, die ihm plötzlich ein merkwürdiges Gefühl von Sicherheit und Gleichgültigkeit gab. Er stand noch immer in der erzwungenen, gebückten Haltung.
    »Machen Sie zum Teufel, was Sie wollen«, sagte er mit heiserer Stimme und richtete sich auf.
    Bernt Larsson lächelte weiterhin.
    »Sie erinnern sich, was ich gesagt habe? Was man im Leben bekommt? Nichts. Wir bekommen gar nichts. Alle. Erinnern Sie sich daran, Nielsen!«
    Dann drehte er plötzlich die Waffe um und steckte sich den Lauf in den Mund. Das kleine, wohlgeformte Gesicht bekam etwas Froschartiges, als der Mund von den breiten Gewehrläufen gedehnt wurde. Seine Augen weiteten sich, füllten sich mit Tränen. Dann drückte er ab.

2
    Er hatte das Gefühl, endlos zu fallen.
    Er erinnerte sich kaum, wie er nach Hause gekommen war. Als der Schuss sich löste, hatte er blitzschnell den Kopf weggedreht und sich mit den Händen die Ohren zugehalten. Eine ganze Weile war er so sitzen geblieben, stöhnend und sich von einer zu anderen Seite wiegend. Erst dann hatte er wieder die Augen geöffnet und auf die Leiche hinabgesehen.
    An das, was darauf folgte, erinnerte er sich kaum noch: Schneewehen am Straßenrand, die Dunkelheit. Und dieses Gefühl, ganz allein zu sein. Kein Laut. Ein Nichts umgab ihn. Als würde er durch ein Vakuum fahren.
    Jetzt fiel er.
    Es hatte in dem Moment begonnen, als er aus dem Wagen gestiegen war, das Gefühl, dass die Erde unter ihm nachgab.
    Es war kein gewaltsamer, unkontrollierter Fall. Eher so, als würde er langsam, gleichmäßig und unerbittlich nach unten gezogen werden. Was immer er auch tat oder wo er sich befand, es spielte keine Rolle. Er fiel unaufhörlich.
    Er blieb in seinem Haus wohnen. War nicht in der Lage umzuziehen, sich überhaupt irgendwohin zu bewegen. Er konnte genauso gut dort bleiben, dachte er. Es spielte ohnehin keine Rolle, wo er war.
    Bernt Larsson tauchte immer wieder in seinen Gedanken auf. Diese nur scheinbar zartgliedrige Gestalt. Erst nachdem er ihn offensichtlich ohne größere Anstrengung hochgehoben und ins Bett getragen hatte, war ihm bewusst geworden, dass dieser dünne Körper fast nur aus Muskeln bestand. Dass Bernt Larsson vermutlich rein physisch im Stande gewesen war, jedem beliebigen Menschen erheblichen Schaden zuzufügen, wenn er es wollte. Später dann hatte er auch darüber nachgedacht, wie schwer sein Alter zu schätzen war, dass er von weitem durchaus als ein Mittdreißiger durchgehen konnte. Zumindest eher als ein Fünfzigjähriger.
    Aber es war wohl doch die Stimme gewesen, die seine Gedanken in Bewegung gesetzt hatte. Wie er seine Tonlage verändert, sozusagen die Stimme ausgewechselt hatte. Und plötzlich erinnerte er sich wieder an diese leise, schnarrende Stimme von dem Telefonat im vergangenen Frühling. Von diesem Augenblick an hatte er gewusst, was zu tun war.
    Die kräftigen Schläge gegen die Tür ließen ihn zusammenzucken. Er öffnete nicht, sondern blieb mitten im Raum stehen und starrte auf die Haustür. Ihm brach der Schweiß aus. Als er hörte, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt und umgedreht wurde, sah er sich hektisch im Zimmer um. Sein Blick fiel auf eine Wodkaflasche, die neben den Mülltüten im Flur stand. Er
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